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rank und schlank und rattenscharf

rank und schlank und rattenscharf

Titel: rank und schlank und rattenscharf
Autoren: Burghard Pohl
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aufblähen und wir fliegen den Abgrund herunter. Jetzt kommt mir jedes Kilogramm meines Übergewichtes zugute.
    Ich höre Willi schreien: „Scheiße, St. Jean Pied de Port.“ — Was ist denn da draußen los? Ist er jetzt weggeflogen oder hat er von seinem Handy einen Notruf abgesetzt? Ich weiß es nicht. Meine Zeltplane kann ich nicht loslassen, geschweige denn den Reißverschluss auch nur einen Zentimeter öffnen. Ich schreie „Willi, was ist los?“ — Keine Antwort. Nun ist es soweit, jetzt hilft nur noch Beten. — Ohne, dass ich mein Hände falte — die kann ich im Moment keine Sekunde von meinem Zelt lassen — sage ich: „Lieber Gott, Du hast mich doch nicht in die Pyrenäen geschleppt, um mich hier umzubringen?“
    Ich bekomme keine Antwort, aber ich spüre nach diesem Hilferuf, dass es mir wesentlich besser geht als vorher, trotz Kälte, Sturm und Dunkelheit. Was mit Willi ist, weiß ich nicht. Ich liege noch stundenlang und klammere mich an die Zeltstangen aus Aluminium. Irgendwann schlafe ich vor Erschöpfung ein.
    Nach Stunden werde ich wach, es ist noch früh am Morgen, als der Sturm schon wieder losgeht. Willi schreit in seinem Zelt. — Gott sei dank, er lebt! — Doch wir haben nur eine längere Atempause bekommen, bevor der Sturm nun noch einmal volle Fahrt aufnimmt. Ich muss schon wieder die vordere Zeltstange fest umklammern, mit der anderen Hand die Zelthaut greifen, kräftig festhalten und gegendrücken. Ich mache da weiter, wo ich gestern Abend erschöpft aufgehört habe. Langsam reicht es mir. So einen Pilgereinstand habe ich nicht gewünscht und erwartet.
     
    Stunden später wird es hell und wir kriechen aus unseren Zelten. „Mensch Burghard, das war ja ein Unwetter, so etwas habe ich noch nie erlebt!“ — „Ich auch nicht!“ — „Hast Du auch gebetet?“ — „Ja sicher, was glaubst Du denn? Wir wären Narren gewesen, wenn wir in dieser Situation nicht gebetet hätten!“ Mann, Mann, Mann.
    Uns bleibt nicht viel Zeit. Wir beratschlagen, was wir jetzt machen sollen, denn es sieht heute Morgen nicht einladend aus. Windig, regnerisch, unwirklich, gespenstisch. Ein neues Gewitter kündigt sich aus weiter Ferne durch Donnern an. Willi geht zu einer Bergkuppe. Von dort aus kann er das kommende Wetter besser beobachten. Er hat da mehr Erfahrung und Ahnung als ich. Als erfahrener Segler kennt er sich mit Wolken und Wind aus. Kira läuft inzwischen aufgeregt zwischen unseren Zelten hin und her. Sie muss jetzt erst mal pieseln, ich auch.
    Ein Schäfer kommt mit seinem Jeep angefahren und hält bei Willi. Sie reden miteinander und Willi kommt zurück zu uns. „Was hat er gesagt?“ — „Du sollst den Hund an die Leine machen! Er meinte, es sei unglaublich, dass wir die Nacht in den Zelten überlebt haben. Überall hat der Sturm schwere Verwüstungen hinterlassen.“ — „Was meinst Du“, frage ich, „wie wird denn das Wetter?“ — „Den Wolken nach zu urteilen, wird das Gewitter, was da ankommt, an uns vorbeiziehen“, prognostiziert Willi. — „Was heißt das?“ — „Schnell packen und auf nach Spanien!“
     
    Wir packen unsere nassen Zelte, alles andere ist auch nass. In meinem Zelt herrscht das reinste Chaos, das war nicht anders möglich. Sofort verzurren wir alles und so schnell wie möglich brechen wir auf, keine halbe Stunde später. Außer uns sind schon andere Pilger unterwegs, sie haben in der Herberge übernachtet. Ihre Regencapes und Regenjacken blähen sich auf und wehen im Wind. Es ist eine gespenstische Atmosphäre, der Anblick der einzeln laufenden Pilger in den wolken-
    verhangenen Bergen erweckt einen unwirklichen Eindruck. Und wir sind ein Teil dieser Atmosphäre.
    Schon wieder geht es steil bergauf. Ich hatte gedacht, wir wären bereits ganz oben, aber da habe ich mich leider geirrt. Aber irgendwann geht es kontinuierlich nur noch bergab Richtung Spanien nach Roncesvalles.

    Die Wege sind nach diesem Regen und Hagel völlig durchgeweicht, rutschig, teilweise unpassierbar. Wir müssen den Weg nun öfter verlassen und uns durch dichtes Buschwerk abseits des Weges schlagen. Hunderte von Bäumen stellen sich uns in den Weg, die wir wie Slalomstangen umlaufen. Wir hangeln uns an einer schrägen Böschung entlang. Ohne Hund schon gefährlich. Mit Hund an der Leine lebensgefährlich. Willi marschiert unentwegt vorwärts, da ist für mich kein hinterherkommen mehr möglich. Ich komme unter diesen schwierigen Bedingungen nur ganz langsam voran und traue mich
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