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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben
Autoren: Lukas Hartmann
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abnehmender Kraft. »Er ist tot, er hat gebüßt für begangenes Unrecht.«
    Sie verstummte; der Aufseher wies Dennele zurecht, die vor sich hin summte. Das Gespräch, das der Schreiber sich gesittet und lehrreich vorgestellt hatte, war bereits aus dem Ruder gelaufen. In beherrschtem Ton wandte er sich an Käther: Was sie sage, zeuge leider nicht von einem wirklichen Besserungswillen. So könne sie keinesfalls mit einer frühzeitigen Begnadigung rechnen. Durch Fleiß und Demut müsse sie sich wieder Achtung verdienen. Er sah, dass Käthers Augen nass waren, er fühlte sich eingezwängt in seinen zerschlissenen Dienstrock und verstand nur halb, was Käther erwiderte: dass sie sich bemühe, ein besserer Mensch zu werden, und es auch ertrage, Tag für Tag mit wunden Händen zu weben oder Farbholz zu raspeln, aber dass ihr niemand ausreden dürfe, den Hannikel geliebt zu haben. Der Hannikel habe doch auch bereut und immer wieder Jesus angerufen, schon vor dem Gang zum Galgen, und Hannikel habe darauf gedrungen, sie, die Käther, in seiner Zelle zu ehelichen, nur habe dies die Obrigkeit nicht gestattet. Das war alles ohne Zusammenhang, und ihre Miene stimmte nicht überein mit ihrem klagenden Ton. Der Ausdruck war misstrauisch und listig in einem; so hatte sie auch während der Sulzer Verhöre in die Runde geschaut.
    Währenddessen hörte Dennele nicht auf, leise zu singen. Die dünnen Töne drangen zwischen den Fingern hervor, mit denen sie den Mund bedeckte. Sie sang, das war halbwegs zu verstehen, vom Wald und vom hohen Himmel. Man wusste nicht, ob sie die simple Melodie selbst erfand.
    Der Schreiber schaute auf Käthers geschorenen Kopf, zwischen dessen Stoppeln er Läuse zu entdecken glaubte. Es grauste ihm davor, obwohl er sonst allem Sechsbeinigen zugetan war. Er wollte Käther gut zureden, er wollte ihr vor Augen stellen, dass sie lernen müsse, Ehrlichkeit und Anstand mehr zu lieben als den hingerichteten Mann. Doch sie kam ihm zuvor und bat ihn, ihrem Sohn, den er hoffentlich auch besuchen werde, von ihr das Beste zu wünschen. Es sei grausam, vom eigenen Sohn nur durch ein paar Mauern getrennt zu sein und ihn nicht sehen zu dürfen. Der Schreiber Grau solle Dieterle ermahnen, nicht wieder auf die schiefe Bahn zu geraten, das wünsche sich seine Mutter von ihm.
    Dennele war auf dem Boden zur Stiefmutter gerutscht, hatte mit beiden Armen ihre Beine umfasst und schmiegte den Kopf an ihren Rock.
    »Lass mich«, sagte Käther sanft zu ihr, und Dennele erwiderte: »In meiner Suppe ist nie Fleisch. Der Vater hat uns doch so gutes Fleisch gegeben.«
    »Sei still, sei still«, murmelte Käther.
    Überraschend beschied der Stockmeister, die Besuchszeit sei abgelaufen. Das könne nicht stimmen, empörte sich Grau. Sein Protest war vergeblich. Nach ein paar formellen Abschiedsworten begleitete der Stockmeister ihn hinaus und befahl dem Aufseher, die zwei Frauen zur Arbeit zurückzubringen.
    Nun war Dieterle an der Reihe, und das verstärkte Graus Beklemmung. Draußen ließ der Herbstwind ihn leichter atmen. Aber nachdem sie den Hof überquert hatten, betraten sie den Trakt zur Linken, und in den Gängen roch es von Schritt zu Schritt schlechter. Manchmal sah man durch eine halboffene Tür flüchtig in einen Schlafsaal hinein, in dem tagsüber gearbeitet wurde. Frauen in der hässlichen braungelben Anstaltskleidung saßen an Spinnrädern, an Webstühlen, man hörte Klappern und Surren, aber kein Stimmengewirr, denn bei der Arbeit war jede Unterhaltung verboten. Sie kamen an der Küche vorbei, an der Latrine, dort war der Boden glitschig. Der Stockmeister beschleunigte seine Schritte, Grau versuchte ihn einzuholen, schwankte aber ein wenig und stützte sich an der feuchten Wand ab, die nach Fäkalien stank wie alles ringsum. Vom Stockmeister ging ein starker, an Pferde erinnernder Schweißgeruch aus, er zog einen Fuß nach, trat mit dem anderen hart auf, vielleicht war er Soldat gewesen. Nun hörte man doch - von oben? von vorn? - Gelächter, Geschrei, ein lautes Weinen, das ins Schrille kippte, ein Gurgeln, das plötzlich abbrach; es schien dem Schreiber, auf einmal werde er von diesem Lärm umzingelt. Das seien die Tollwütigen, die Närrischen, sagte der Stockmeister und ließ die Schlüssel, die er am Ring in seiner Hand trug, gegeneinanderklirren.
    Es ging weiter, treppauf und treppab. Dieses Hallen überall. Wo lebten die Frauen, wo die Männer, wo die Zuchthäusler, wo die Armenhäusler, wo die Waisen? Und wie konnte
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