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Räuberleben

Räuberleben

Titel: Räuberleben
Autoren: Lukas Hartmann
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an, dass er nun auch unter schlimmsten Schlägen keinen Laut von sich gegeben hätte.
    Sie ließen ihn liegen. Der Stockmeister schloss die Zellentür ab und schob den Balken vor.
     
    Er wisse nicht, sagte Hartmann auf dem Rückweg zum Schreiber, ob der Junge noch zu retten sei. Er befürchte, dass Dieterle seinen Erziehern noch manche Schwierigkeiten einbrocken werde.
    Nun gut, erwiderte Grau, er werde dem Oberamtmann in Sulz schonungslos Bericht erstatten, und nach all dem, was er nun gesehen habe, komme eine Begnadigungsempfehlung für Dieterle nicht in Frage. Eher noch für Käther und Dennele, aber man müsse davon ausgehen, dass sie ihr altes unstetes Leben bald wieder aufnehmen würden.
    Es sei ja, sagte Hartmann, während der Stockmeister mit zornigen Schritten voraushinkte, ohnehin nur der Landesherr befugt, Begnadigungen auszusprechen; was der Oberamtmann Schäffer empfehlen wolle, sei natürlich seine Sache. Der Herzog habe im Übrigen vor einigen Jahren zusammen mit dem Minister Bühler das Waisenhaus höchstpersönlich inspiziert und dabei seine Zufriedenheit über die vorgefundenen Verhältnisse ausgedrückt. Wie auch immer, er, Hartmann, - nun verfiel er beinahe in ein gedehntes Singen - werde rastlos um die Seele Dieterles kämpfen, er könne nicht anders. Es arbeitete in ihm, er schnaufte stark, dann brach es aus ihm heraus: Sein eigener Sohn, Gottlob David, sei auch auf einen falschen Weg geraten und habe dies mit einem frühen Tod gesühnt. Gottlob David habe, zum unermesslichen Leid des Vaters, in diversen Schriften die biblische Ordnung in Frage gestellt, er habe behauptet, dass Vernunft allein Erleuchtung bringe, und als jüngster Professor Deutschlands gar mit dem Ketzer Kant korrespondiert. Er, Hartmann, wisse nicht, womit er dies verdient habe. Die Stimme versagte ihm, als sie gerade den Ausgang erreichten. Grau wollte höflich sein, suchte nach aufmunternden Worten. Eine Weile blieben sie noch stehen und schauten aneinander vorbei. Der Abschied war kurz und nichtssagend.
    Grau hatte vergessen, wo der Gasthof lag, in dem er sich, erst wenige Stunden war es her, einquartiert hatte. Er kannte sich nicht aus in Ludwigsburg, geriet nach merkwürdigen Umwegen auf die breite Promenade, von der aus man in den Park und auf das langgestreckte Schloss sah. Wie eine Reihe von fleckigen Zähnen, aus der sich ein mittlerer hervorwölbte, lag es da. Die Residenz war verwaist, Herzog Karl Eugen vor Jahren schon nach Stuttgart zurückgekehrt. Die Wasserspiele hatte man abgestellt, doch im Park wucherte das Grün, das sich bereits herbstlich zu verfärben begann. Der schwache Wind wehte den strengen Geruch von Ringelblumen herbei, die mehrere Rabatten in orangeroter Glut entflammt hatten. Zwei tiefblaue Schmetterlinge gaukelten vorüber, möglicherweise gehörten sie zur Familie der Lycaenidae. Doch der Schreiber hatte nicht den Drang, sie näher zu betrachten. Das Bild Dieterles stand vor ihm. Wie mager waren seine wunden Handgelenke gewesen, wie hilflos hatten sie gewirkt! Damen mit nutzlosen Sonnenschirmen kreuzten seinen Weg, Herren, die ihn geflissentlich übersahen. Auch die Kinder, die lachend einen Reif vor sich hertrieben, achteten nicht auf ihn. Ich bin, dachte Grau, nahezu unsichtbar.
     
    Sulz am Neckar, 17. Juli 1787
     
    Nach Rosen duftete es, als sich der Exekutionszug, mit den Tambouren an der Spitze, frühmorgens vom Städtchen Sulz zum Galgenbuckel hinaufbewegte. Schon zum zweiten Mal blühten sie in diesem wuchsgünstigen Jahr. Windböen trieben Blütenblätter vor sich her, stellenweise übersäten sie den Weg und wurden von den vielen Schuhen zerquetscht, die über sie hinweggingen. Zu Tausenden waren die Zuschauer nach Sulz geströmt, um der Hinrichtung beizuwohnen. Man stritt sich beim Blutgerüst um die besten Plätze, Marktschreier sangen das Hannikellied und verkauften es, gedruckt auf grauem Löschpapier: Entsprossen vom Zigeunersamen, / verwahrlost an der Eltern Hand, / war er, geweiht durch seinen Namen, / schon jung ein Glied am Räuberband. Andere boten Zuckerzeug und Backwaren an, Wasser und Bier aus Schläuchen. Knapp nach Sonnenaufgang hatten sich die ersten Schaulustigen eingefunden, von weit her waren sie gekommen, hatten die halbe Nacht durchwandert. Flink, listig, stark, mit heißem Blute / trat er bei seinem Schwarm hervor / und stund, mit unerschrocknem Mute, / Vierhunderten als Hauptmann vor.
    Der Schreiber Grau ging, in einer Reihe mit andern Subalternen, zwei
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