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Räuberbier

Räuberbier

Titel: Räuberbier
Autoren: Gmeiner-Verlag
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»Drüben bei Ackermanns.«
    Oje, das war übel. Unsere Nachbarin, Frau Ackermann, war unangefochtene Weltmeisterin im Vielschwätzen. Spätestens nach fünf Minuten Ackermannkontakt lief einem das Blut aus den Ohren. Mit dem Schlimmsten rechnend zog ich wieder meine Schuhe und Jacke an und klingelte am Nachbarhaus. Sekundenbruchteile später öffnete sich die Tür und Häuptling Böse Zunge stand vor mir. Hinter ihr erblickte ich im Flur die blass wirkende Stefanie.
    »Hallo, und frohe Weihnachten«, begann sie ihren Monolog. »Das ist ja fast schon ein Familientreffen, Herr Palzki.«
    Stefanie rollte im Hintergrund genervt mit ihren Augen.
    »Ich habe Ihre Frau gerade ein paar meiner selbst gebackenen Zimtsterne versuchen lassen. Das Rezept wird in unserer Familie seit Generationen wie ein Geheimnis gehütet. Früher waren die Zimtstangen ja so teuer, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Zum Glück gibt es die jetzt überall zu kaufen. Die sollen ja blutdrucksenkend sein, was für meinen Mann ganz gut wäre. Immer wenn ich ihn anschaue und mit ihm rede, hat er so einen richtig roten Kopf. Ich sage dann immer zu ihm, dass er zum Arzt gehen soll wegen seines Blutdruckes. Aber was antwortet er? Gegen seinen roten Kopf würde kein Arzt was tun können, da müsste man nämlich erst die Ursachen beseitigen. Und das würde einen 20-jährigen Zwangsaufenthalt zur Folge haben. Wahrscheinlich verwechselt er da nur etwas. Solange war noch nie jemand im Krankenhaus. Wollen Sie auch meine Zimtsterne probieren, Herr Palzki? Ich habe schon überlegt, ob ich sie nächstes Jahr auf dem Weihnachtsmarkt verkaufen soll. Ich nehme ja nur allerbeste Zutaten und selbst die Butter ist so gut wie fettfrei.«
    Sie drückte mir einen offenen Plastikbehälter hin, in dem undefinierbare Brocken lagen, die nicht im Entferntesten nach Sternen aussahen.
    Ich schob ihr abwehrend meine Hände entgegen. »Nein, danke, tut mir leid, ich habe eine Mehlallergie. Ich darf nur ganz bestimmte Sorten mit linksdrehenden Mehlwürmern aus dem Reformhaus essen. Und fettig darf es schon gar nicht sein. Davon krieg ich immer einen Ausschlag auf den Ohren.«
    Frau Ackermann drehte sich zu Stefanie um. »Sie müssen mit Ihrem Mann eine Hyposensibilisierung durchführen, Frau Palzki. Sie werden sehen, irgendwann kann er dann sogar Pommes und Hamburger essen, ohne einen Ausschlag zu bekommen.«
    Frau Ackermann redete weiter, doch meine Frau unterbrach sie, was normalerweise nicht ihre Art war. »Danke, Frau Ackermann, für das Salz, das Sie mir ausleihen. Ich muss jetzt aber wirklich rüber, meinem Mann etwas zu essen machen. Wegen seiner Allergie ist das immer sehr zeitaufwändig. Und er freut sich doch schon so auf seinen gedünsteten Gemüseteller, stimmt’s, Reiner?«
    Was blieb mir anders übrig, als devot zu nicken und innerlich den Entdecker des Gemüses zu verfluchen? Weil meinen Vorfahren die Mammuts ausgegangen waren, musste ich mich mit ballaststoffreichen Ersatzstoffen wie Blumenkohl und Karotten zufriedengeben. Zum Glück gab es heutzutage überall kleine Notfallstationen, wie das Caravella in Schifferstadt oder die Curry-Sau in Speyer.
    Kaum waren wir bei uns im Hausflur angelangt, gab mir Stefanie einen Kuss. »Danke schön, mein Retter. Kannst du bei Gelegenheit Herrn Ackermann überzeugen, dass 20 Jahre Knast eine durchaus überlegenswerte Alternative sein können? Wie hält der das bloß mit so einer Frau aus? Ich wollte mir nur ein bisschen Salz von ihr ausleihen, da hat sie mir ihre komplette Krankheitsgeschichte erzählt. Die muss …«
    Ich unterbrach sie mit einem weiteren Kuss. »Beruhige dich, Schatz. Ich kaufe dir nächste Woche ein Salzbergwerk, dann brauchst du nie mehr zu ihr rüber.«
    Stefanie lächelte, anscheinend hatte ich ausnahmsweise den richtigen Ton und Satz getroffen.
    »Ich mache uns jetzt mal was Anständiges zu essen«, sagte sie schließlich. »Soll ich wirklich fettfrei kochen?« Sie schaute schelmisch langsam an mir herab. »Schaden könnte es nicht.«
    »Denk an unser Baby«, antwortete ich und streichelte ihr dabei sanft über den leicht gewölbten Bauch. »Wenn unser Junge nur Gemüse und so Zeugs bekommt, kriegt er vielleicht einen Schock und will erst gar nicht geboren werden.«
    »Da mache ich mir keine Sorgen. Ich denke, dass unser Junge –«, sie machte eine kleine Gedankenpause, »– oder unser Mädchen früh genug Papas Esskultur mitkriegen wird.«
    Mist, fast hätte sie sich verraten. Immer noch
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