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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat
Autoren: Frank Goosen
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des Gesetzes belangt zu werden? Ich verteidige meinen Grund und Boden, mein Hab und Gut! Das erfüllt von Rechts wegen den Tatbestand der Notwehr. Und von Links wegen auch, datt datt ma klar is!«
    Theo, der alte Schrebergartennachbar meiner Eltern und selbst ebenfalls ein begnadeter Rhetor, erzählte mir Jahre später, wie die Geschichte weiterging: »Der Laberfürst hat tatsächlich wochenlang in seiner Laube übernachtet. Konnte der sich ja auch erlauben, als Frührentner. Und als er dann eine Nacht tatsächlich einen Einbrecher auf frische Tat packen konnte ... Odda sagen wir mal einen Suffkopp, den er dafür hielt, da hat er sich erssma mit dem hingesetzt und paar Kurze gekippt. Tja, und dann hat er die arme Sau ins Koma gequasselt. Der is erst drei Wochen später widda wach geworden.«
    Anfang der Achtziger verstummte der Laberfürst für immer. Über seine Beerdigung wusste Theo noch zwanzig Jahre später recht lebhaft zu berichten: »Da standen wir um datt Loch rum und der Paster sachte, wir sollten getz alle ma n Moment die Klappe halten. Wir also alle Schweigeminute. Schweigeminute! Für den Laberfürst! Da musse erssma drauf kommen! Datt Einzige, watt wir gehört haben, war die Herner Straße im Hintergrund. Wie sonn Gemurmel hat sich datt angehört. Und als die Minute vorbei war, hat dein Vatta zu mir gesacht: >Hasse gehört? Der labert noch im Sarch!«<
     

Weine nicht, mein Freund!
    Das Ruhrgebiet ist ja immer auch ein Schmelztiegel unterschiedlichster Nationalitäten gewesen. Dem Klischee nach stammen wir ja alle von polnischen Püttadligen ab. Dass das dem Namen nach in meiner Familie nicht der Fall zu sein scheint (klingt mehr nach Benelux), muss mein Vater als Manko empfunden haben, weshalb er sich meiner Mutter in der Tanzschule Bobby Linden 1964 als »Goosenowski« vorstellte (siehe auch »Liebe ohne Raum oder Das Haldenkind« in »Mein Ich und sein Leben«).
    Das war die Zeit, in der die ersten Italiener im Ruhrgebiet auftauchten. Später kamen die Türken, die Griechen und all die anderen, die nicht nur unseren Speiseplan bereicherten. Ab 89/90 wieder verstärkt Menschen aus dem östlichen Teil Mitteleuropas, also Polen, Ukrainer, Russen - und unsere Mitbürger von jenseits der Elbe.
    Kurz nach der Wende hatte ich von Letzteren einen besonderen Menschen kennengelernt, der mir mit der angeblich so typischen Berliner Schnauze den Osten erklärte. Zum Beispiel meinte der Kollege: »Weeste, hättenwa Videorekorder jehabt, hättenwa keene Revolution jemacht. Fraacht sich, watt wir uns erspart hätten, wenn die Industriespionage der DDR etwas effektiver jewesen wäre.« Auch jenes schändliche Bauwerk, welches Berlin seinerzeit teilte, ordnete mein Ostberliner Vertrauter ganz anders ein als viele seiner Landsleute: »Und dit mit der Mauer, also weeste, ick habe nich stän-dich Angst vor jehabt. ]ut, da sind Leute erschossen worden. Aber weeste: Et stand ooch
dranl«
    Mit diesem Menschen stand ich Anfang der Neunziger an der Selterbude in der Nähe meiner damaligen Wohnung, und diese Bude wurde betrieben von einem hochgewachsenen Türken mit eindrucksvollem Schnauzbart. Und der Berliner Kollege textete den schweigsamen Türken gnadenlos zu: »Sach ma, du bist ja ooch nich von hier, aber schon länger vor Ort. Wie findsten dit, dit wir jetzt alle hier ufftau-chen, also die Polen, Ukrainer, Russen und wir Ossis. Wie findsten dit?«
    Der Türke beugte sich vor und sprach: »Wir euch nicht gerrufen!« Gelebte Integration!
    Ein anderes schönes Beispiel für perfekte Völkerverständigung mit charmanter Note durfte ich 2002 erleben. Einen Tag nach dem Endspiel der Fußball-WM im japanischen Yokohama, welches Oliver Kahn 0:2 verloren hatte, kam ich an meine damalige Bude, die ebenfalls von einem jungen Türken betrieben wurde, der in seinem Zeitschriftenangebot selbstredend auch türkische Publikationen feilbot. Die Hürriyet titelte an diesem Montag schon auf Deutsch: »Sei nicht traurig, Deutschland«, was schon eine nette Geste war, zumal man sich im Falle einer Finalniederlage der Türken, die ja ebenfalls im Halbfinale gestanden hatten, eine entsprechende, türkischsprachige Schlagzeile auf der BILD-Zeitung nur schwer hätte vorstellen können. Neben der Hürriyet hing aber auch eine türkische Fußballzeitschrift, die schon in ihrem Namen auf den Punkt bringt, wie man mit diesem wunderbaren Sport umgehen muss, die heißt nämlich »Fanatik«. Und das Titelbild der Fanatik zierte folgende Schlagzeile:
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