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Radio Heimat

Radio Heimat

Titel: Radio Heimat
Autoren: Frank Goosen
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ist.
    »Theo«, frage ich, »wer war der letzte deutsche Held?«
    Theo nimmt einen Schluck Gründer Hell aus der Flasche, sagt: »Siechfried«, und rülpst. »Danach nur noch Durchschnitt.«
    »Aber im Fußball haben wir doch immer Helden gehabt, oder? Die 54er-Mannschaft! Die von 72! Und dann so Leute wie Kuzzorra, oder?«
    »Junge, du hass doch keine Ahnung. Held wirsse nur, wenn die andern dich dazu machen! Du kannz nich einfach sagen, so, ich hab getz dat und dat gemacht, dat war heldenhaft und getz bin ich n Held. Wat nützt et dir, wenne zwanzich Waisenkinder aus nem brennenden Haus rettes, und keiner krichtet mit und kann davon erzählen!«
    »Aber beim Fußball, da kriegt es doch jeder mit, vor allem, seit es Fernsehen gibt!«
    »Ach geh doch weg! Ich will dir ma wat erzählen: Da war einer aus der 54er-Mannschaft, ich weiß nich mehr, wer. Keiner von die Walters, nich der Boss und nich der Turek, ich weiß nich mehr. Jedenfalls war der in den Jahren nach seine aktiven Laufbahn sonn bisschen ins Schleudern gekommen, wat dat richtige Leben angeht. Und 74 wollte der zum Endspiel kommen, hat an den DFB geschrieben, ob er n paar Karten haben kann. Und die hammse ihm auch geschickt. Und weisse, wat sie ihm noch geschickt hamm? Ne Rechnung! So sieht dat aus in Deutschland mit Helden!«
    »Ist es denn woanders besser?«
    Theo nimmt noch einen Schluck.
    »Kumma, Junge, da is doch kürzlich in England der George Best gestorben, der alte Verbrecher. Du weiß doch, wat dem sein Wahlspruch war, oder?«
    »Ich habe in meinem Leben einen Haufen Geld für Frauen, Alkohol und teure Autos ausgegeben. Den Rest habe ich sinnlos verprasst.«
    »Genau. Und als der beerdicht wurde, in ...«
    »Belfast«
    »... genau. Und als der Leichenwagen durch die Stadt fuhr, da standen Tausende von Leute anne Straße und hamm geklatscht und Schals in seine alte Vereinsfarben auf dat Auto geworfen.«
    Ich erinnere mich. Nicht weniger als einhunderttausend Menschen waren auf den Beinen und machten diese Beisetzung zu einer der größten in der Geschichte Großbritanniens.
    »Und als der Maradona, dat alte Drogenwrack, in Buenos Aires im Krankenhaus laach, da zoch sich die Schlange der Leute, die wissen wollten, wat los is, um zehn Häuserblocks oder so. Weisse, wat los war, wenn bei uns der Beckenbauer in München inne Klinik liegen würde? Da ständen unten nur n paar Blagen und würden nach Alimente schreien!«
    jetzt hat Theo sich in Rage geredet, was unweigerlich einen Jägermeister zur Beruhigung nach sich zieht. Er starrt auf das geleerte Glas und murmelt: »Ich trinke Jägermeister, weil ich bescheuert bin!«
    Dann zupft er sich den Kittel zurecht und macht weiter: »Und unsere? Früher war n Fußballspieler bissken blöd inne Birne, aber watt sollen die auch labern können! Die Bude sol-lense machen! Heute hammse alle drei Rhetorik-Seminare hinter sich und hörn sich an, als war ihnen allet scheißegal. Abba die Leute sind auch doof, die Zuschauer, mein ich. Die wollen immer nur wissen, wat einer verdient. Weisse, dat is mir och scheißegal, ob der Kahn sechs Millionen im Jahr kricht! Soll er doch, wenn er die Kugel festhält! Der feuert keine zehntausend Leute und packt keine kleinen Kinder an, also wat soll dat!«
    Was ist das? Theo als Vorsitzender des Olli-Kahn-Fanclubs?
    »Abba n Held isser deswegen noch lange nich. Weisse, wenn ich so nachdenke und noch sonn kleinen Braunen kippe, dann denke ich, vielleicht is dat ganz gut, dat wir so Probleme mit unsere Helden hamm. 1s doch auch irgendwie albern, oder? Helden sind wa doch alle. Alle, die morgens noch den Arsch äussern Bett kriegen. Ker, getz hasse mich widda am Nachdenken gebracht. Du bis mir au sonn Held, du?«
    Und mit der Flasche Jägermeister in der Hand verschwindet Theo in seinen Rabatten.
     

Der Laberfürst
    In unserer Gegend gibt es die Redewendung »Von nix ne Ahnung, aber immer große Fresse!« Damit beschreibt man Menschen, die mangelnde Ortskenntnis noch lange nicht davon abhält, anderen zu sagen, wo es langgeht. Ein Paradebeispiel für diese Art Mensch war ein Mann, der sich an den Rändern meiner Kindheit herumtrieb, in der Kleingartenanlage, auf diversen Festen der Erwachsenen oder auf dem Fußballplatz.
    Für Typen wie ihn war das Wort »vierschrötig« erfunden worden: Kaum eins siebzig groß, aber ungefähr genau so breit, ein perfektes Quadrat als Schädel, mit Handflächen wie Essteller und Fingern wie die Griffe an Sporträdern. Seinen richtigen Namen
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