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Rachespiel

Rachespiel

Titel: Rachespiel
Autoren: Niamh O'Connor
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geknebelt hat. Ich habe drei unaufgeklärte Vergewaltigungsfälle mit ähnlicher Vorgehensweise in meinem Aktenschrank.«
    In Großbritannien hätte man die Information in eine Datei eingegeben und wäre sofort auf die Übereinstimmungen aufmerksam gemacht worden. In Dublin dagegen musste Jo sich auf ihr Bauchgefühl verlassen. »Ich will ihn vernehmen, wenn die Verhandlung beendet ist. Ihn bei seiner Aussage heute zu beobachten und zu sehen, worauf er anspringt, wird eine gute Vorbereitung darauf sein.« Sie fügte nicht hinzu, dass sie außerdem gern mal einen Tag aus dem Büro herauskam, jetzt, da Dan wieder zurück war.
    Foxy machte ein betretenes Gesicht. »Kannst du ihr das bitte selbst sagen, Jo? Sie will mit niemand anderem reden. Sie ist …«
    »Was?«, drängte Sexton.
    »Nun, am Boden zerstört«, sagte Foxy. »Das arme Mädchen sieht aus, als hätte es die ganze Nacht geweint.«
    Jo warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war jetzt zehn nach neun. Die Verhandlung sollte um halb zehn losgehen, und sie würde etwa zehn Minuten bis zum Gericht brauchen, wenn sie die Luas-Tram nahm, die direkt vor dem Polizeigebäude abfuhr, wohingegen es mit dem Auto mindestens eine halbe Stunde dauern würde. Trotzdem konnte sie einen Sitzplatz im Gerichtssaal vergessen, wenn sie nicht sofort aufbrach – den Zeitungsberichten zufolge stand die Öffentlichkeit Schlange, um einen Blick auf den Angeklagten zu erhaschen. Ihm wurde vorgeworfen, eine junge Spanierin im Teenageralter, die über den Sommer nach Irland gekommen war, um ihr Englisch zu verbessern, vergewaltigt und beinahe getötet zu haben. Die Leute waren erschüttert über den Fall, und zum Teil hatte wohl auch krankhafte Neugier von ihnen Besitz ergriffen.
    »Schon gut, schon gut, ich rede mit ihr«, sagte Jo widerwillig, weil sie merkte, dass Foxy mit seinem großen Herzen ein persönliches Interesse an der Sache hatte. Schon halb draußen, sah sie sich ein letztes Mal in ihrem neuen Büro um.
    »Eine Uhr«, sagte sie und zählte den Punkt an den Fingern ab.
    »Was?« Sexton guckte verwirrt drein.
    Sie lächelte ihre Kollegen an. »Ein Regal, ein Fensterrollo, ein Garderobenständer, ein Papierkorb, die blöde Wandkonsole einen halben Meter runter und eine Uhr – dann könnte ich es hier drin richtig gut aushalten.«

2
    Das Kokain war über drei Kontinente und vier Weltmeere gereist, um nach Dublin zu kommen. Begonnen hatte es seine Reise in Kolumbien, in Form von Kokablättern, die in den weiten Ebenen der östlichen Llanos von Bauern ge pflückt wurden. Es war in Säcken auf den Rücken von Eseln zu Trockenschuppen transportiert und anschließend in mit Plastikplanen ausgelegten Gruben mit Chemikalien behandelt und von Arbeitern unter der sengenden Sonne zerstampft worden. Die klumpige, hellbraune, kittartige Substanz, die auf diese Weise gewonnen wurde, war mit einem Konvoi von Allradfahrzeugen über die tückischen Andenpässe und die Serpentinenstraße hinter Cali hinunter zum Hafen von Buenaventura gefahren worden, einer Pfahlbausiedlung am Pazifik. Dort hatten es afrokolumbianische Slumsoldaten, die mit umgehängten Maschinengewehren feilschten und die Reinheit der Ware prüften, indem sie selbst davon schnupften, für umgerechnet vier Euro pro Gramm gekauft.
    Wenn es schließlich die Straßen von Dublin erreichte – via Westafrika, Spanien und Amsterdam –, würde es das Zehnfache von dem einbringen, was Barry »King Krud« Roberts, der zuzeit in Untersuchungshaft saß, bei seiner Einfuhr dafür bezahlt hatte. Er konnte die Länder, durch die es gekommen war, vielleicht nicht auf dem Atlas zeigen, aber als er einen Anruf auf einem der vier Mobiltelefone erhielt, mit denen er seine Geschäfte von seiner Zelle im Gefängnis Portlaoise aus führte, und erfuhr, dass eine um die halbe Welt gereiste Lieferung in der vergangenen Nacht von den Gardaí, der irischen Nationalpolizei, abgefangen worden war, nahm er das sehr persönlich. Und rastete dementsprechend aus.
    Der King nahm seine Zelle im Flur E 1 auseinander und suchte nach dem Abhörgerät, das seiner Überzeugung nach die Sache hatte auffliegen lassen.
    Die Steroidhormone in seiner Blutbahn, von denen er den Stiernacken und das Pickelgesicht hatte, bewirkten, dass jedes Mal ein Pulverfass aus Hass explodierte, wenn ihn etwas aufregte.
    Es gab ein ohrenbetäubendes Scheppern, als er die Me tallpritschen umkippte, und der Inhalt des Abortkübels, den er in die Ecke kickte, verteilte sich spritzend
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