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Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)

Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)

Titel: Rachenacht: Ein Alex-Delaware-Roman (German Edition)
Autoren: Jonathan Kellerman
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irgendwie Zutritt verschafft.
    Er hatte seiner Beute nachgesehen, wie sie ihre Geldbörse holen ging. Er hatte kurz abgewartet, war dann hinter sie getreten und hatte mit beiden Händen ihren Kopf gepackt.
    Eine rasche Drehbewegung, und das Genick war gebrochen. Aus, vorbei, Ende.
    Um so etwas korrekt auszuführen, benötigte jemand Kraft und Selbstvertrauen.
    Das und die Tatsache, dass nirgends Kontaktspuren zu sehen waren, deutete stark auf einen Täter hin, der so etwas nicht zum ersten Mal tat. Von einem ähnlichen Mord hier in L. A. hatte ich bisher jedoch noch nichts gehört.
    Bei aller Sorgfalt, die der Mörder an den Tag gelegt hatte, waren wir gut beraten, an den Schläfen der Frau nach fremder DNA zu suchen. Psychopathen schwitzen nicht viel, aber man konnte nie wissen.
    Ich sah mich erneut im Raum um.
    Wo war überhaupt die Geldbörse?
    Also doch ein Raubmord? Nein, dieser Täter hatte wohl eher ein Souvenir mitgehen lassen.
    Während ich mich von der Leiche entfernte, überlegte ich, ob die letzten Gedanken der Frau wohl einem gemütlichen Abend gegolten hatten, mit einer knusprigen Pizza, allein auf dem Sofa, barfüßig.
    Das Letzte, was sie gehört hatte, musste die Türklingel gewesen sein.
    Ich blieb noch ein wenig in der Wohnung, um zu ergründen, was geschehen war.
    Der grausig-routinierte Genickbruch ließ mich an Kampfsport denken.
    Und was hatte es mit dem bestickten Handtuch auf sich?
    Vita . Leben.
    Hatte er dieses eine mitgebracht und die übrigen aus ihrem Schrank genommen?
    Lecker. Guten Appetit. Auf das Leben!
    Der Verwesungsgestank wurde so übermächtig, dass meine Augen zu tränen begannen und mein Blick verschwamm. Der Halsschmuck aus Gedärmen verwandelte sich in eine Schlange.
    Eine graubraune Riesenschlange, die sich nach einem Festmahl fett und träge eingerollt hatte.
    Ich konnte hier stehen bleiben und so tun, als wäre ich in der Lage, das alles zu verstehen, oder nach draußen rennen und versuchen, meinen aufkommenden Würgereiz zu unterdrücken.
    Die Entscheidung fiel mir nicht schwer.

2
    Milo hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt, doch sein Blick war wieder aus dem All zurück und auf die Straße unterhalb gerichtet. Fünf Uniformierte wanderten von Tür zu Tür. Ihrem Vorankommen nach zu urteilen, klingelten sie häufig vergebens.
    Die Straße lag in einem Arbeiterviertel im Südosten des Polizeibezirks West L. A. Drei Blocks weiter, und es wäre nicht mehr unser Problem gewesen. In gemischt genutzten Gebieten wie diesen gab es sowohl Einfamilienhäuser als auch solche Zweifamilienhäuser wie das des Opfers.
    Psychopathen waren Gewohnheitstiere, und ich fragte mich, ob die Komfortzone des Täters so eng gesteckt war, dass er vielleicht sogar innerhalb des abgeriegelten Straßenabschnitts wohnte.
    Ich hielt die Luft an und bemühte mich, meinen Magen zu beruhigen, während Milo so tat, als bemerke er nichts.
    »Ja, ich weiß«, sagte er schließlich.
    Als der Transporter der Gerichtsmedizin vorfuhr und eine dunkelhaarige Frau in bequemen Klamotten ausstieg und die Treppe heraufgeeilt kam, entschuldigte er sich wie zuvor bei mir.
    »Morgen, Milo«, grüßte sie.
    »Morgen, Gloria. Viel Vergnügen.«
    »Oje«, sagte sie. »Mit was für einem Irren haben wir es diesmal zu tun?«
    »Ich könnte sagen, ich habe schon Schlimmeres gesehen. Aber das wäre glatt gelogen.«
    »Wenn so was aus deinem Mund kommt, packt mich das kalte Grausen, Milo.«
    »Du meinst, weil ich schon so ein alter Sack bin?«
    »Quatsch.« Sie tätschelte ihm die Schulter. »Weil aus dir die Stimme der Erfahrung spricht.«
    »Auf manche Erfahrungen würde ich liebend gerne verzichten.«
    Der Mensch ist imstande, sich an fast alles zu gewöhnen. Aber selbst wenn es sich so anfühlt, als wäre die Psyche wieder ganz in Ordnung, sind Rückschläge nicht auszuschließen.
    Kurz nach Abschluss meiner Promotion arbeitete ich als Psychologe in einem Krankenhaus auf der Kinderkrebsstation. Es dauerte einen Monat, bis ich nicht mehr von krebskranken Kindern träumte, doch irgendwann war ich so weit, dass ich mit professioneller Distanz meine Arbeit tun konnte. Nachdem ich die Station verlassen hatte, praktizierte ich eine Zeitlang selbstständig, um schließlich wieder an die alte Wirkungsstätte zurückzukehren. Als ich die Kinder mit neuen Augen sah, war meine vermeintliche Abgeklärtheit dahin und ich hätte sofort losheulen können. Ich ging nach Hause und wurde abermals lange Zeit von Albträumen
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