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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel
Autoren: Stuart Neville
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in den Nebel hinein, sie folgten dem Knallen der Schüsse. Galya bemerkten sie nicht.
    Die Türen glitten auf, und ein Schwall warmer Luft stürzte auf sie ein. Mit besorgten Gesichtern hasteten weitere Polizisten zum Ausgang, Rauschen kam aus ihren Funkgeräten. Galya bemerkten sie immer noch nicht.
    Sie folgte einem Schild, auf dem Departures stand. Die Pfeile führten sie vorbei an Geschäften und Restaurants, an Leuten mit Gepäckwagen voller Koffer, die Kaffee tranken und Toast aßen. Sie wussten gar nicht, in was für einer Welt sie lebten, welche Gefahren sich jenseits ihres Vorstellungsvermögens verbargen.
    Galya wusste es.
    Aber sie vergrub dieses Wissen tief in ihrem Inneren, damit der Mann, der weiter vorne an der Sicherheitsschleuse wartete, es ihr nicht im Gesicht ansah.
    »Die Bordkarte bitte«, sagte er.
    Galya reichte sie ihm.
    Mit einem Hauch von Missfallen im Gesicht musterte er ihre Kleidung. Galya konnte beinahe seine Gedanken lesen. Noch soein elender Parasit, noch so eine Gastarbeiterin, die jetzt, wo kein Geld mehr zu holen ist, ihre Arbeitgeber im Stich lässt.
    Sie lächelte ihn an, als er ihren Pass einscannte und ihr anschließend zurückgab.
    »Besser, Sie halten sich ein bisschen ran«, sagte er. »Die steigen wahrscheinlich schon ein.«
    »Danke«, sagte Galya.
    Sie stellte sich in die kurze Schlange vor der Sicherheitskontrolle, legte gehorsam die Schuhe und den Mantel, die Susan ihr überlassen hatte, in die bereitstehenden Schalen – die verbunden Füße waren unter dicken Socken versteckt – und wartete geduldig, bis sie an der Reihe war und durch die Magnetschranke gehen konnte. Auf der anderen Seite beschwerte sie sich nicht, als eine Frau vom Sicherheitsdienst sie abtastete.
    Nach einem kurzen Gang erreichte sie das Gate, wo eine Flugbegleiterin ihre Dokumente kaum eines Blickes würdigte. Dann noch ein paar Schritte über die Rollbahn bis zum Flugzeug, und schon stieg sie ein. Sie fand Reihe 12 und setzte sich.
    Als die Dame im Nachbarsitz sie fragte, ab alles in Ordnung sei, sagte Galya, ja, danke, und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von der Wange.
    Beim Fliegen glaubt jeder an Gott, dachte sie.
    Sie sprach ein kurzes Gebet für die Seele von Jack Lennon.

89
    Strazdas saß im Foyer des Hotels, den Koffer zu seinen Füßen. Acht Uhr 45, hatte der Kontaktmann gesagt. Er sah auf die Uhr. Acht Uhr 47.
    Sein Handy klingelte.
    »Das Taxi ist unterwegs«, sagte der Kontaktmann. »Nehmen Sie es und steigen Sie in das Flugzeug.«
    »Und das Mädchen?«
    »Ich empfehle Ihnen, dem Fahrer ein anständiges Trinkgeld zu geben«, sagte der Kontaktmann. »Immerhin haben wir den zweiten Weihnachtstag. Er hat mir schon oft einen Gefallen getan.«
    »Was ist mit dem Mädchen?«, fragte Strazdas.
    Einen Moment herrschte Schweigen, dann sagte der andere: »Sie ist uns entwischt. Die Sache ist schiefgegangen.«
    Strazdas schob seinen Fingerknöchel zwischen die Zähne, biss fest zu und schmeckte etwas Salziges. Er atmete schnaufend durch die Nase ein, und ein tiefes Stöhnen entfuhr ihm.
    »Die Sache ist vorbei, und damit hat es sich. Ein guter Mann musste deswegen sein Leben lassen, vergessen Sie das nicht. Der ist nur wegen ihrer blöden Vendetta gestorben. Geben Sie endlich Ruhe.«
    Strazdas merkte, dass die Empfangsdame ihn beobachtete. Er zwang sich, seinen Knöchel aus dem Mund zu nehmen. Etwastropfte ihm aufs Kinn. Er wischte es weg und lächelte sie an. Sie wandte den Blick wieder ihrer Schreibarbeit zu.
    »Haben Sie mich verstanden, Arturas?«, fragte der Kontaktmann. »Es ist vorbei. Da kann man nichts mehr machen.«
    »Doch, eines kann man noch machen«, sagte Strazdas. »Ich werde Ihren Vorgesetzten einen Brief schreiben. Ich werde Ihren Namen erwähnen. Detective Chief Inspector Daniel Hewitt. Ich werde eine Aufstellung aller Zahlungen beifügen, die Sie in den letzten achtzehn Monaten erhalten haben. Diese Zahlungen werden sich zu keiner meiner Firmen zurückverfolgen lassen, aber sie werden dafür sorgen, dass Ihre Vorgesetzten ihre Bankkonten und ihre Investitionen unter die Lupe nehmen und Ihren Lebensstil.«
    Vor dem Hoteleingang sah Strazdas das Taxi halten.
    »Sehen Sie sich vor, Arturas«, sagte der Kontaktmann. »Wenn solche Dinge erst einmal in der Welt sind, kann man sie nie mehr rückgängig machen.«
    »Leben Sie wohl«, sagte Strazdas. »Ich muss meinen Flug erwischen.«

90
    Wie helle Blitze drang alles auf Lennon ein, die Bilder, die Szenen, die Gesichter,
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