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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel
Autoren: Stuart Neville
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Dämmerlicht.
    Lennon schaltete den Motor aus. Er griff in seine Tasche und gab ihr ein Bündel Papier. Als sie die raue Oberfläche und das Gewicht fühlte, wusste sie, dass es Geld war.
    »Dreihundertfünfzig«, sagte er. »Es ist alles, was ich dabei hatte. In Krakau müssten Sie das umtauschen und einen Zug nach Kiew nehmen können. Sobald Sie zu Hause sind, nehmen Sie Ihren Bruder mit und verschwinden Sie. Bleiben Sie nicht da. Sonst findet Strazdas Sie.«
    »Mamas Hof«, sagte sie. »Der ist doch unser Zuhause. Wo sollen wir denn wohnen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Lennon. »Ihnen wird schon etwas einfallen. Sie sind klug, und Sie sind stark. Wenn Sie erst dort sind, werden Sie schon wissen, was zu tun ist.«
    Galya dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass das stimmte. Zu Hause konnte der Mann, dem Mama so viel Geld schuldete, ruhig den Hof haben. Dann würden Galya und ihr Bruder frei von ihm und den Schulden sein. Damit konnte sie leben. Sie schaute in Lennons gezeichnetes Gesicht, entdeckte die Narben unter der Haut.
    »Ihre Freundin Susan«, sagte sie.
    Lennon schwieg einen Moment, dann fragte er: »Was ist mit ihr?«
    »Sie sollten sie glücklich machen«, sagte Galya. »Dann macht sie Sie auch glücklich.«
    Lennon lächelte. »Vielleicht.«
    »Nicht vielleicht«, sagte sie. »Einfach nur ja.«
    »Gehen wir«, sagte Lennon und langte nach dem Türgriff. »Sie müssen ins Flugzeug.«
    Er stieg aus, kam herum zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und half ihr heraus.
    »Denken Sie dran«, sagte er noch, als er die Tür zumachte. »Sprechen Sie mit niemandem, wenn Sie nicht unbedingt müssen. Gehen Sie sofort zur Sicherheitsschleuse. Wenn Sie da durch sind, müsste eigentlich schon das Einsteigen beginnen. Gehen Sie sofort zum Gate und ins Flugzeug. Sonst müssen Sie gar nichts machen.«
    »Danke«, sagte Galya. Sie zögerte einen Moment, dann schlang sie ihre Arme um seine breiten Schultern.
    Er zögerte seinerseits einen Moment, dann erwiderte er ihre Umarmung.
    »Machen Sie Susan glücklich«, sagte sie.
    »Ich versuche es.«
    Ein paar Schritte weiter rief jemand mit von der Kälte erstickter Stimme: »Jack.«

87
    Lennon suchte nach dem Ursprung der Stimme und stellte sich vor Galya, eine Hand griffbereit auf dem Halfter an seinem Gürtel.
    Hinter dem Audi stand eine große, schlanke Männergestalt. Der Mann kam humpelnd näher. Die erhobene Linke hielt einen Revolver, der rechte Arm war fest an den Körper gedrückt, so als schmerze er ihn. Getrocknetes Blut zog tiefrote Linien über seine Wange. Überall auf der Stirn und dem Kinn hatte er Schnitt- und Schürfwunden, seine Kapuzenjacke war zerrissen.
    »Connolly«, sagte Lennon.
    Mit einer Hand griff er hinter sich und stieß Galya weg, mit der anderen befreite er die Glock aus dem Halfter.
    »Tut mir leid, Jack«, sagte Connolly.
    Wie der Schlag eines Schwergewichtsboxers traf ihn der erste Schuss in die Schulter und warf ihn gegen den Audi. Er blieb auf den Beinen, und noch vor dem Schmerz durchflutete Adrenalin seinen Körper. Instinktiv hob er die rechte Hand, die Glock zielte auf Connollys Brust. Noch bevor er abdrücken konnte, spürte er einen Schlag in den Bauch, dann einen zweiten, und seine Beine versagten ihren Dienst.
    Die rechte Hand immer noch erhoben, fiel Lennon auf den Rücken. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Galya über ihm hockte, den Mund weit aufgerissen, obwohl er keinen Schrei hörte.
    »Laufen Sie«, keuchte er.
    Connolly kam in sein Gesichtsfeld, seine Pistole war nicht auf Lennon gerichtet, sondern zielte irgendwo über seinen Kopf hinweg.
    »Laufen«, rief Lennon. »Sofort.«
    Ohne zu wissen, ob er richtig zielte oder nicht, schoss er auf Connollys Körper. Connolly zuckte zusammen und schlug gegen die Seite des Transporters, sein Gesicht war schmerzverzerrt.
    Lennon atmete, hielt die Luft an, richtete die Glock auf Connollys Brust und beruhigte seine Hand. Connolly hob den linken Arm, seine Pistole war auf Lennon gerichtet. Eine harte Kälte breitete sich in Lennons Unterleib aus. Er drückte ab, sah Connollys Mündungsfeuer, sah ihn fallen, dann sah er nur noch tiefes, kühles Schwarz, wo eben noch die Welt gewesen war.

88
    Zuerst rannte Galya, ohne an den Schmerz zu denken, an das Geld, die Dokumente, die sie an ihre Brust gedrückt hielt. Als das Gebäude in Sichtweite kam, lief sie im Schritttempo weiter und überquerte die Straße, die am Eingang des Terminals entlangführte. Flughafenpolizisten rannten
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