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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel
Autoren: Stuart Neville
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    Die Zimmerwirtin beobachtete ihn von der Tür aus. »Alles geklappt?«, fragte sie, als er aufstand.
    »Ja, vielen Dank«, sagte er. »Entschuldigen Sie, dass wir Sie an Weihnachten gestört haben.«
    »Keine Sorge«, sagte sie. Als er vorbeiging , strich sie ihm leicht über den Arm. »Das Mädchen macht einen netten Eindruck. Ich hoffe, Sie konnten Ihre Probleme lösen, was auch immer die sein mögen.«
    Fast hätte Lennon widersprochen, fast hätte er gesagt, es gebe keinerlei Problem außer der kranken Mutter, von der er schon bei ihrer Ankunft erzählt hatte. Doch stattdessen sagte er: »Ich auch.«
    Er stieg die zwei Treppen bis zum Zimmer hoch und hielt vor der Tür inne. Bestimmt wartete Susan schon auf ihn. Er hatte ihr versprochen, es sich mit ihr auf dem Sofa gemütlich zu machen und einen Schluck Wein zu trinken, sobald er zurückgekehrt war. Die beiden Mädchen würden ja schon schlafen. Seufzend zog er sein Handy aus der Tasche. Beim ersten Klingeln ging sie dran.
    »Mir ist was dazwischengekommen«, sagte er.
    »Tut es das nicht immer?«, fragte sie und legte auf.
    »Scheiße«, sagte er zu sich selbst.
    Galya schlief tief und fest, als er das Zimmer betrat. Er setzte sich in einen Sessel am Fenster, die Tür im Auge. Dann legte er die Glock neben sich auf den Tisch und stellte den Wecker seines Handys auf sechs Uhr.
    Fünfeinhalb Stunden Schlaf, wenn er Glück hatte. Aber Glück hatte er noch nie gehabt.

85
    Nachdem er eine Stunde lang telefoniert und sich eine weitere halbe Stunde lang selbst kasteit hatte, fing Arturas Strazdas an, sich wieder zusammenzureißen. Er hatte das schon öfter durchgemacht und wusste, wie er den Scherbenhaufen, zu dem er in den letzten Stunden und Tagen geworden war, wieder zusammenkehren konnte.
    Er begann stets mit einer Phase der Stille und Kontemplation. Er saß reglos da, schaute sich noch einmal alle Verletzungen an, die er sich zugefügt hatte, und rief sich noch einmal ins Gedächtnis, dass er doch eigentlich ein gesunder Mensch war und gesunde Menschen sich nicht derart verstümmelten. Vernünftige Menschen kanalisierten ihre Wut, benutzten sie als Kraftquelle und nicht dazu, sich selbst zu zerstören.
    Der Kontaktmann hatte gesagt, die Liquidierung des Mädchens sei jetzt nur noch eine Frage der Zeit. Strazdas habe keinen Grund, auch nur eine Minute länger als notwendig in dieser Stadt zu bleiben. Morgen früh um zehn Uhr, hatte der Kontaktmann gesagt, solle er sich in das Taxi setzen, das man ihm schicken werde. Falls nämlich nicht, werde ihn stattdessen ein Polizeiwagen abholen. Und der werde ihn zum Verhör aufs Revier bringen.
    Entweder das eine oder das andere, hatte der Kontaktmann gesagt, so einfach sei das.
    Strazdas glaubte ihm und machte sich daher daran, sein Gleichgewicht wiederzufinden.
    Als er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, rasierte er sich und duschte, dann zog er ein frisches Hemd und seinen guten Reiseanzug an. Sein Magen knurrte. Er sah auf den Wecker neben dem Bett.
    Fast fünf Uhr morgens.
    Ob es um diese Zeit wohl schon Zimmerservice gab? Vielleicht einen Toast und ein gekochtes Ei?
    Er würde es versuchen. Ein gesunder Mensch musste essen. Und wenn Arturas Strazdas eines war, dann ein gesunder Mensch.

86
    Es lag immer noch dichter Nebel über dem Vorplatz, als Lennon Galya zum Auto half. Bis zum Sonnenaufgang waren es noch zwei Stunden. Zehn Minuten bis zum Flughafen, sagte er, und danach noch eine halbe Stunde, um durch die Sicherheitskontrolle und in den Flieger zu kommen. Er drückte ihr die Dokumente in die Hand und erklärte ihr, sie müsse allein in die Abflughalle und dort direkt zur Sicherheitsschleuse gehen. Dort musste sie dann nur noch ihre ausgedruckte Bordkarte und ihren Pass vorzeigen.
    Ganz einfach, sagte er.
    Galya glaubte ihm nicht.
    Unterwegs blieb sie still. Die Scheinwerfer des Wagens drangen kaum durch den Nebel, und das heiße Wasser, das er auf die Scheiben gegossen hatte, um sie zu enteisen, war gefroren, so dass die düstere Welt da draußen nun ganz verschwommen und verzerrt aussah.
    Vor ihnen tauchten die vagen Konturen des Flughafens auf, zu erkennen nur am trüben Schimmern der Lichter. Lennon fuhr auf einen Parkplatz gegenüber dem Terminal. Galya konnte kaum die Umrisse des Gebäudes erkennen und sah auch keine Leute hineingehen oder herauskommen. Trotzdem wusste sie, dass welche da sein mussten, verborgen im grauen
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