Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rachedurst

Rachedurst

Titel: Rachedurst
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
zum Armdrücken, einem Quiz zu Belanglosigkeiten aus der Welt des Sports oder zum Wettschießen herausgefordert. »Dynamisch« war das Wort, mit dem er am häufigsten beschrieben wurde. Er konnte sich von einem gemütlichen älteren Herrn, der seine Bierchen stemmte und anderen auf die Schulter klopfte, in einen Redner verwandeln, der das zwölfminütige Schlussplädoyer von Spencer Tracy in Wer den Wind sät aus dem Gedächtnis zu rezitieren vermochte. Zum Frühstück aß er, so hieß es, am liebsten Würstel mit Soße und trank dazu ein Glas Pinot noir. Rulon störte sich nicht daran, dass er nach außen hin zunächst grob und unkultiviert wirkte; umso mehr konnte er anschließend die Leute mit seinen wunderlichen Eigenarten überraschen und auch ein wenig beunruhigen. Darin, fand Joe, war er Wyoming als solches nicht unähnlich.
    Außerdem war er – wie mehr und mehr Staatsbedienstete berichteten, die mit dem neuen Chef zu tun hatten – komplett übergeschnappt.
    Aber er war bei den Wählern ungemein beliebt. Anders als sein Vorgänger hatte Rulon seine Leibwächter wieder zur Autobahnpolizei geschickt, den Chauffeur gefeuert und darauf bestanden, im Telefonbuch zu stehen. Er hatte die Pförtner abgeschafft, die angestellt waren, um den Zugang zu seinem Büro zu beschränken, und ein Schild anbringen lassen, auf dem »Gouv. Rulons Büro – Treten Sie ein, ohne anzuklopfen« stand, was zu einem endlosen Besucherstrom geführt hatte.
    Zu seinen ersten Entscheidungen gehörte die Ernennung des neuen Chefs der Jagd- und Fischereibehörde. Der Verwaltungsrat hatte drei Kandidaten vorgeschlagen, darunter Pope. Rulons erste Wahl war ein langjähriger Jagdaufseher aus Medicine Bow, der schon eine Woche nach seiner Berufung an einem Herzinfarkt starb. Der zweite Kandidat ließ sich von der Liste streichen, als bekannt wurde, dass er einst wegen sexueller Belästigung angeklagt worden war. So blieb nur Randy Pope, der die Rolle gern übernahm und einem Reporter sogar erklärte, »das Zusammenwirken von Schicksal und Bestimmung« habe seine Beförderung erst ermöglicht. Das war vor zwei Monaten gewesen.
    Trey Crump, Joes direkter Vorgesetzter, hatte gesagt, er sehe schon das Menetekel an der Wand, und war in den Vorruhestand gegangen, um sich nicht Popes neuen Richtlinien für Vorgesetzte unterwerfen zu müssen. Ohne Trey, der ihm innerhalb der staatlichen Bürokratie stets den Rücken frei gehalten hatte, war Joe nun angewiesen worden, Pope direkt auf dem Laufenden zu halten. Statt wöchentlicher Berichte wollte Pope tägliche Meldungen. Und er war es gewesen, der Joes Antrag auf einen neuen Pick-up abgelehnt und ihm stattdessen eine Mühle mit 240 000 Kilometern auf dem Tacho, abgefahrenen Reifen und einem unzuverlässigen Motor geschickt hatte.
    Joe war lange genug dabei, um ganz genau zu wissen, was da vor sich ging. Pope durfte nicht den Eindruck erwecken, einen öffentlichen Rachefeldzug gegen Joe zu führen, schon deshalb nicht, weil Joes Stern in den letzten Jahren über einigen Bereichen aufgegangen war.
    Aber Pope war ein Meister darin, andere mit den Mitteln der Bürokratie einen Tod in kleinen Raten sterben zu lassen: ein langsamer, stetiger, kleinlicher und einen in den Wahnsinn treibender Vorgang – falsch abgelegte Anträge, unerwiderte Anrufe, verloren gegangene Versicherungs- und Erstattungsansprüche, ein Wust an sinnlosen Arbeitsaufträgen – , all das war dazu bestimmt, Angestellte aus ihren Bundes- oder Landesbehörden hinauszuekeln. Und Joe wusste, dass Pope mit ihm ein Hühnchen zu rupfen hatte.
    ***
    Â» Dad! «
    Joe merkte, dass Sheridan mit ihm redete. »Was denn?«
    Â»Wie kann er derart abschalten?«, fragte Julie ihre Freundin, als säße er nicht im Wagen.
    Â»Keine Ahnung. Erstaunlich, nicht? … Dad, halten wir zwischendurch an, um Nates Vögel zu füttern? Ich möchte Julie die Falken zeigen.«
    Â»Ich hab sie heute schon gefüttert«, erwiderte er.
    Â»Mist.«
    Joe verlangsamte das Tempo, bog vom Highway auf eine Staubpiste und fuhr unter einem mit beeindruckenden Wapitigeweihen besetzten Bogen hindurch, von dem an Ketten ein Schild hing:
    THUNDERHEAD RANCHES, SEIT 1883
    FAMILIE SCARLETT
    OPAL
    ARLEN
    HANK
    WYATT
    Â»Meine Oma sagt, mein Name kommt eines Tages auch auf das Schild«, erklärte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher