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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Reginald Hill
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die Bäume und der Himmel und die Berge ringsum den Atem anhalten, weil sie fürchten, jemanden in seiner Trauer zu stören.
    Dreihundert Meilen weiter südlich, in einem Ostlondoner Parkhaus, brechen fünf junge Burschen, die wahrscheinlich nicht mal mit der Wimper zucken würden, wenn Jesus Christus in einem Feuerwagen auf dem Dach von St. Paul’s landete, ein Auto auf.
    Aber sie haben das einmal zu oft gemacht, und plötzlich schießen überall um sie herum Polizisten aus dem Boden, als hätte jemand Drachenzähne gesät. Die Jungen stieben auseinander, müssen aber feststellen, dass ihnen jeder Fluchtweg versperrt ist.
    Nur einer ergibt sich nicht. Er läuft auf eine drei Meter hohe Betonwand zu, in der ganz oben eine gut dreißig Zentimeter große Lücke klafft. Zum Erstaunen der Polizisten huscht er wie eine Eidechse die Wand hinauf. Und dann schiebt er sich zu ihrem Entsetzen durch die Lücke und verschwindet.
    Sie sind auf der fünften Ebene, und hinter der Lücke geht es fast zwanzig Meter senkrecht in die Tiefe.
    Die Polizisten geben ihren wartenden Kollegen über Funk durch, sie sollen zur Rückseite des Parkhauses gehen und die Leiche sichern.
    Wenige Minuten später antworten sie – keine Leiche am Fuße der Mauer, bloß ein junger Bursche, der weglaufen wollte, sobald er sie kommen sah.
    Auf dem Revier gibt er sich als John Smith aus, achtzehn Jahre alt, ohne festen Wohnsitz.
    Danach verstummt er und sagt kein Wort mehr.
    Sie nehmen seine Fingerabdrücke. Er ist nicht in der Kartei.
    Seine Komplizen behaupten, ihn noch nie gesehen zu haben. Sie behaupten auch, einander noch nie gesehen zu haben. Einer von ihnen ist so zugedröhnt, dass er nicht weiß, ob er sich selbst je gesehen hat.
    Zwei sind eindeutig minderjährig. Ein Sozialarbeiter wird hinzugezogen, der bei ihrer Vernehmung anwesend ist. Die anderen beiden haben Vorstrafen. Sie sind achtzehn und neunzehn Jahre alt. Der Pflichtverteidiger kümmert sich um sie.
    Die Polizisten sind nicht sicher, ob John Smiths Altersangabe stimmt, und der Junge hat irgendwas an sich, eine schwer definierbare Aura von Liebenswürdigkeit, was sie veranlasst, dem Pflichtverteidiger ihre Zweifel mitzuteilen.
    Gleich zu Beginn seines Gesprächs mit Smith weist er ihn darauf hin, dass er als Minderjähriger anders behandelt werden würde, wahrscheinlich mit einer milden Strafe ohne Freiheitsentzug davonkäme. Smith bleibt bei seiner Aussage und verweigert jegliche weiteren Auskünfte über seine Herkunft, wenngleich er eindeutig mit nordenglischem Akzent spricht.
    Der Verteidiger vermutet, dass Smith deshalb seinen Namen und sein Alter verfälscht, weil er seine Familie aus der Sache raushalten will. Er hofft, dem Jungen die Wahrheit entlocken zu können, indem er ihm die Folgen, die ihm für sein Delikt nach Erwachsenenstrafrecht blühen, drastisch ausmalt, doch als er sich die Beweislage gegen ihn genauer ansieht, muss er feststellen, dass die ziemlich mager ist. Eine Identifizierung anhand der unscharfen Aufnahmen von Überwachungskameras in dem dämmrig beleuchteten Parkhaus ist mehr als fragwürdig. Und könnte denn wirklich jemand die glatte Außenmauer heruntergeklettert sein, wie die Polizisten behaupten, und noch dazu in weniger als einer Minute?
    Während sie sich unterhalten, entspannt sich der Junge, solange keine Fragen nach seiner Herkunft gestellt werden, und der Verteidiger spürt, wie er sich für seinen jungen Mandanten zu erwärmen beginnt. Auf dem Nachhauseweg fährt er an dem Parkhaus vorbei, um die Außenmauer zu fotografieren und zu dokumentieren, wie glatt sie ist. Am nächsten Tag zeigt er das Foto dem Jungen, der offensichtlich gerührt ist von so viel Engagement, dann jedoch panisch reagiert, als er erfährt, dass er noch am Vormittag einem Richter vorgeführt werden soll. Der Verteidiger beruhigt ihn, handelt es sich doch bloß um einen Beweisaufnahmetermin, nicht um einen Strafprozess, er warnt ihn jedoch vor, dass er als Volljähriger ohne festen Wohnsitz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Untersuchungshaft bleiben wird.
    Und genau so kommt es auch. Als der Junge weggeführt wird, sagt der Verteidiger, es bestehe kein Grund zur Sorge und er werde am Nachmittag im Untersuchungsgefängnis vorbeischauen. Aber er hat noch andere Dinge zu erledigen, die ihn bis in den späten Abend in Anspruch nehmen. Als er auf dem Nachhauseweg ist, fällt ihm der Junge wieder ein, und er beruhigt sein schlechtes Gewissen mit dem Gedanken,
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