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Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)

Titel: Rache verjährt nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Reginald Hill
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Nicken des Mannes hin wird der Junge zurück in das erste Zimmer gestoßen.
    Er kauert sich in eine Ecke. Männer kommen und gehen, ohne ihn zu beachten. Die Atmosphäre ist zuversichtlich, als liefe alles nach Plan. Ahmed, der viele Umarmungen und anerkennendes Schulterklopfen bekommt, sieht ihn noch immer nicht an. Dem Jungen wird zunehmend bange.
    Dann ertönt von unten plötzlich Lärm.
    Zuerst das Splittern von Holz, als würde eine verschlossene Tür eingetreten, dann Schreie und Rufe, fast unmittelbar gefolgt von knallenden Pistolenschüssen.
    Alle Männer stürzen nach draußen. Allein gelassen, sieht sich der Junge nach einem Versteck um, aber es gibt keins. Das einzige Fenster des Raumes ist selbst für einen Elfjährigen zu klein, um sich hindurchzuquetschen.
    Der Krach wird lauter, kommt näher. Die Tür fliegt auf. Der Glatzkopf stürmt mit einer Pistole in der Hand herein. Der Junge lässt sich zu Boden fallen. Der Mann brüllt irgendwas Unverständliches und zielt mit der Waffe. Ehe er abdrücken kann, taucht Ahmed hinter ihm auf und springt ihm auf den Rücken. Ein Schuss löst sich. Die Kugel schlägt zwischen den gespreizten Beinen des Jungen in den Boden.
    Die beiden Männer kämpfen kurz miteinander. Wieder kracht ein Schuss.
    Und der Glatzkopf sackt gegen die Wand, die Hände auf den Bauch gedrückt. Blut quillt zwischen den Fingern hervor.
    Ahmed bleibt vor ihm stehen, hält die Pistole umklammert. Jetzt endlich blickt er den Jungen an, und er versucht zu lächeln, aber es gelingt ihm nicht ganz. Dann wendet er sich der Tür zu, die während des Kampfes zugefallen ist.
    Der Junge ruft: »Ahmed, warte!«
    Doch der junge Jemenit hat die Tür bereits geöffnet.
    Kaum macht er einen Schritt über die Schwelle, wird er auch schon von einem Kugelhagel, der ihm die Brust zerfetzt, zurück ins Zimmer geschleudert.
    Als er auf dem Boden liegt, treffen sich ihre Blicke noch ein letztes Mal. Und jetzt erreicht das Lächeln Ahmeds Lippen. Dann stirbt er.
    Erst als sich die Arme seines Vaters um ihn schließen, lässt der Junge endlich seinen Tränen freien Lauf.
    Sein Vater sagt: »Das hast du gut gemacht, du hast einen kühlen Kopf bewahrt. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, was? Und hab ich dir nicht immer gesagt, dass es dir eines Tages nützen würde, wenn du deine Lateinhausaufgaben machst?«
    Zwei Jahre später wird eine Autobombe der FLOSY seinen Vater töten, so dass der Junge keine Gelegenheit mehr hat, ihn als Erwachsener zu fragen, was die Rebellen für das Leben seines Sohnes von ihm verlangt hatten.
    Oder wie die Antwort des Vaters gelautet hätte, wenn sein kindlicher Verstand nicht so findig gewesen wäre, ihm die Straße und die Nummer des Hauses zu verraten, in dem er festgehalten wurde.
    Aber ehe er wieder in die Schule musste, konnte er ihn fragen, wie es denn möglich war, dass sein Freund Ahmed, der ihn so sehr geliebt hatte, dass er sein eigenes Leben für ihn opferte, ihn überhaupt erst in eine so gefährliche Lage gebracht hatte.
    Und sein Vater hatte geantwortet: »Wenn Liebe gegen grimmige Not antritt, gibt es meist nur einen Sieger.«
    Damals hatte er nicht verstanden, was sein Vater meinte. Aber später sollte es ihm klar werden.

2
    Herbst 1989: die Welt in Aufruhr; die Berliner Mauer fällt; Chris Reas Album The Road to Hell steht auf Platz eins der britischen Charts; die westlichen Industriestaaten beobachten mit angehaltenem Atem die sich überschlagenden Ereignisse, die zur Befreiung Osteuropas und dem Ende des Kalten Krieges führen werden.
    In einem Wald in Cumbria sitzt ein Mann auf einer von den Strahlen der Mittagssonne gesprenkelten Lichtung schlaff gegen eine verwachsene Eberesche gelehnt. Sein verwittertes Gesicht ist tief gezeichnet von den Gedanken, die ihm durch den gesenkten Kopf kreisen, die Augen sind starr, aber blicklos auf die ungeöffnete Thermosflasche und die Sandwichdose zwischen seinen Füßen gerichtet. Ein kleines Stück entfernt steht ein zweiter Mann und beobachtet ihn. Sein langes braunes Haar ist wolfsgrau gesträhnt, in seinem besorgten Gesicht liegt Mitgefühl, es offen zu zeigen, wäre sinnlos, wie er weiß. Auch ein junges Mädchen im Hintergrund betrachtet den sitzenden Mann mit starrem Blick, doch ihre Miene ist weit schwerer zu deuten. Und auf das weite Waldland, über das der Wind nahezu unaufhörlich seine Musik rauschen lässt und wo im Unterholz das Pizzicato knackender Zweige erklingt, senkt sich eine Stille, als würden selbst
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