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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz
Autoren: Ralf Kramp
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riesigen Körper hinter den beiden jungen Leuten her, während sie zum Taxistand schlenderten. Herbie hatte einen von Richards Koffern genommen, und beinahe augenblicklich mündete ihr Gespräch in einen nicht enden wollenden Fluss von Erinnerungen an vergangene Schultage in der kleinen Kurstadt. Richard Kley war wieder da. Der Einzige aus ihrer Klasse, der ein Glas Bier im Kopfstand austrinken konnte.
    Das Taxi war einer dieser mit grässlicher Baumarktreklame zugekleisterten Neuimporte aus England, eine dieser Altweißversionen der berühmten Londoner Beförderungsmittel, in deren Innerem man britisch steif und aufrecht sitzen konnte, ohne den berühmten Bowlerhat vom Kopf zu nehmen. Weder Richard noch Herbie trugen irgendeine Form von Kopfbedeckung, aber mit raschem Seitenblick stellte Herbie fest, dass sein Begleiter Julius den selbst für seine üppigen Körpermaße komfortablen Innenraum des Fahrzeugs mit anerkennendem Kopfnicken bewertete.
    »Der alte Scharrenbroich ist im letzten Herbst gestorben«, knüpfte Herbie an dem kurzfristig unterbrochenen Gespräch über ehemalige Mitschüler und Lehrpersonen an.
    »Scharrenbroich ... Scharrenbroich?« Richard Kley grübelte.
    »Der, der den Mädels immer so in den Ausschnitt geguckt hat. Besonders der Rischmann, du erinnerst dich doch. Die mit den dicken ...« Herbie imitierte einen stieren Blick über den Rand einer imaginären Lesebrille und formte mit den Händen zwei melonengroße Halbkugeln in der Luft. »Weißt du, der, von dem wir immer angenommen hatten, die Elke Beck hätte damals, nach diesem Kurstreffen, bei ihm ... na, du weißt schon.«
    Richard schien sich zu erinnern. »Mathe, stimmt’s? Den hatte ich ja selber nie. War’n anderer Kurs. Ich hatte Mathe-Leistung bei Kögel.«
    Und dann entglitt Herbie ein Name, den er eigentlich nicht hatte erwähnen wollen. Ein Name, mit dem Richards Schicksal der letzten Jahre eng verknüpft war und der stets mit Richards eigenem Namen in einem Atemzug genannt wurde. Beinahe so, wie man mit dem von Herbie immer auch gleich grinsenderweise den von Julius nannte.
    »Mathe-Leistung? Zusammen mit Rosi?« Und als es heraus war, da hätte Herbie sich ohrfeigen können, und er stellte doch insgeheim fest, dass er den Namen mit voller Absicht ins Spiel gebracht hatte. Um die Reaktion zu testen. Um etwas aus Richards Seelenleben zu erfahren. Oder einfach nur, weil er eben auch einer von denen war, die Richard und Rosi immer wieder gemeinsam erwähnten, so, als sei alles immer noch so wie früher.
    Gratuliere. Du bist wieder ein Ausbund an Takt und Feingefühl . Julius schenkte ihm ein herablassendes Lächeln als Ausdruck seiner Geringschätzung.
    Rosis Name verfehlte seine Wirkung nicht. Roswitha Brabender, die spätere Frau Kley. Und nicht nur vor Herbies Augen entstand plötzlich die kleine, zierliche Gestalt eines stupsnasigen Mädchens mit dunkelbraunen, schulterlangen Locken und einem Lachen, das allein schon Grund genug gewesen war, dass sie damals zur Schulsprecherin gewählt worden war. Dieses Lachen war wohl auch für Richard Grund genug gewesen, sich als einer der begehrtesten Jungs der Schule das begehrteste Mädchen der Schule zu angeln.
    Es hätte alles so schön werden können. Eine richtige Bilderbuch-Lovestory war es gewesen. Zu schön, um wahr zu sein. So intensiv, dass sie über das Abitur hinaus dauerte. So fest, dass sie auch die Trennung während des Studiums schadlos überstand. So ernst, dass sie schließlich sogar in einer Traumhochzeit mündete.
    Aber der Alltag stellt oftmals eine Prüfung dar, die härter und unbarmherziger ist als jeder Astronautentest.
    Das Taxi hatte Rheder erreicht.
    »Die Rosi ...«, murmelte Richard, und sein Blick wurde starr. »Ach ja, die Rosi. Hast du sie mal gesehen?«
    Herbie nickte stumm. Er war Rosi erst vor ein paar Wochen im   Café T   in Bad Münstereifel begegnet. Sie sah gut aus. Sie hatte immer gut ausgesehen. Erstaunlich gut, selbst damals, als Richard seine Koffer gepackt hatte. Seit anderthalb Jahren arbeitete sie in einem Kindergarten in Bad Münstereifel. Eine Arbeit, die sie ganz auszufüllen schien.
    Richards Beruf hatte ihnen wohl einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht, so vermutete man damals. Auch beim letzten Klassentreffen hatte Herbie wieder diese Version gehört. Richard war immer ein echter Technikfreak gewesen. Auf den Computerboom war er als einer der Ersten voll abgefahren, was seinen Berufsweg von vornherein fest vorgezeichnet
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