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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz
Autoren: Ralf Kramp
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dürfen!« Der Kleinere heulte, während sie auf den Bunker zurannten. »Halt dein Maul, un renn!«, rief der andere. Die heftigen Laufbewegungen ließen ihre Stimmen erbeben. Dürres Maisgestrüpp raschelte um ihre nackten Waden. Der Bunker tauchte vor ihnen auf. Lange Zeit hatte er Soldaten Schutz vor den feindlichen Truppen geboten.
    Durch den hämmernden Schmerz hindurch bemerkte Krechel wie im Fieber etwas Fremdes, etwas, das nicht hergehörte. Das Zischen kam näher. Er sah das kleine Rauchwölkchen, das unter dem Laub hervorquoll. Er sah die kleine Wölbung im Maisfeld, die erst kürzlich jemand aufgeschüttet haben musste. Als er begriff, was geschehen würde, war es schon zu spät. Trotz des unbändigen Schmerzes versuchte er, auf die Zündschnur zuzurobben. Mit der ausgestreckten Linken versuchte er, danach zu greifen, die kleine Flamme mit der bloßen Hand zu löschen. Seine Hand griff ins Leere, wirbelte Laub auf, krallte sich verzweifelt in die feuchte Erde, kratzte, griff, zitterte ...
    Die Jungen warfen sich in dem Moment hinter die meterdicken Trümmer des zerbombten Bunkers, in dem der Sprengsatz explodierte; keuchend blieben sie für einige Sekunden am Boden liegen. Die Detonation war ohrenbetäubend laut gewesen, hatte sich hundertfach in der lautlosen Schwärze der Nacht fortgepflanzt. Ein Schwarm Krähen war aus seinen Schlafbäumen hochgeschreckt und flatterte hektisch kreischend ins Dunkel davon. Das war keine kleine Explosion gewesen, die dazu diente, jemandem wie Krechel einen gehörigen Schrecken einzujagen. Dies war ein todbringendes Inferno gewesen, wie sie es nicht beabsichtigt hatten. Schweigend sahen sie sich durch die beinahe undurchdringliche Finsternis an.
    Als alles still wurde, spähte der Ältere über den Rand der Bunkerruine hinweg zu der Stelle, wo eben noch Krechel mit dem Tode gerungen hatte. Das Feuer war in alle vier Winde zerstoben. Kleine Flammen flackerten hier und da rund um den entstandenen Krater auf. Im schwachen Mondlicht konnte man die Leiche des Feldhüters und den Tierkadaver nur ungenau ausmachen. Zerfetzt und zersprengt lagen sie mehrere Meter weit von der Stelle der Explosion entfernt.
    »Wat hammer da jetan? Wir hätten et net tun dürfen! Dat durften mer net!« Der Kleinere kauerte unterhalb des fetten Betonblocks und heulte Rotz und Wasser.
    »Dat konnte ja keiner wissen, dat dat Zeuch so stark is ...«, bekräftigte sein Freund tonlos. »Un trotzdem ... Verdient hat dat Schwein et. Denk an unsere Väter! Wenn die im Knast sterben, is dat nur de Krechel schuld!« Beruhigend legte er dem Jüngeren die Hand auf die Schulter. »Komm, mir müssen weg, bevor einer kommt! Die Fangeisen müssen noch weg. Ich mach dat schon.« Seine Kiefer mahlten verbissen, seine Hände zitterten, und als er sich aus dem Schutz des Bunkers hinausbegab, flüsterte er unaufhörlich: »Der tut keinem mehr wat zuleide! Dat Schwein is tot!«

Erstes Kapitel
    (Zwar wieder im Dunkel, doch diesmal in tröstliche Farbschattierungen getaucht.)
    So ein Bahnhof bei Nacht hat etwas Trostloses. Hie und da lungerten noch ein paar abgerissene Gestalten in der Dunkelheit zwischen den grellen Lichtflecken herum, die die Beleuchtung auf den Vorplatz malte. Eine Flasche zersplitterte klirrend, ein Auto raste mit laut dröhnenden Bässen vorbei. Aus der Halle des Euskirchener Bahnhofs erscholl Männergeschrei. Kley seufzte tief. So hatte er sich seine Heimkehr nicht vorgestellt. Als er auf dem Köln-Bonner Flughafen gelandet war, da hatte ihn der Anblick des erleuchteten Rheinlands noch freudig erregt. Sauber und glitzernd hatte Köln ihm zu Füßen gelegen, als er aus dem Fenster der Boeing geschaut hatte. Millionen von kleinen Lichtern funkelten entlang der verworrenen Straßenzüge und erinnerten an den Albtraum eines jeden Familienvaters vor dem Weihnachtsfest: verknotete Lichterketten, die es galt zu entwirren, um sie um den Tannenbaum zu drapieren.
    Die Zugfahrt nach Euskirchen allerdings hatte das Bild rasch zerstört. Schmutzig gelblicher Lichtschein umwusch die kleinen Bahnhöfe, die, abwechselnd mit Schrottplätzen, wild wucherndem Gestrüpp und verödetem Industriegelände, am Fenster vorbeiflogen. Er war viel unterwegs, und trotzdem schockierte ihn immer wieder, dass sich jedes Land entlang der Bahnstrecke von seiner unwirtlichsten Seite zeigte.
    Jetzt stand er an einer der Bushaltebuchten und versuchte angestrengt, im Halbdunkel den Fahrplan der Strecke Euskirchen-Bad Münstereifel zu
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