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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Autoren: Markus Kammer
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Tunnels.
     
    Ihre Zeit lief ab. Ihr Leben war dabei, sich zu verflüchtigen und fortzuwehen in einen weltenlosen Raum. Sie wollte es nicht, doch ihr Wille lag im Sterben. Das, was einmal ihr Körper gewesen war, hatte in der Ganduup-Festung seinen letzten Atemzug angetreten. War er ausgehaucht, würde sie aufhören, Elsa oder überhau pt jemand zu sein. So lange der Atemzug noch anhielt, spürte sie Bedauern. Hörte sie aber zu atmen auf, würde sie nicht mehr wissen, was Bedauern überhaupt gewesen war. Das mochte kein Verlust sein, dennoch fühlte sie sich betrogen um etwas, das sie immer gesucht und nicht gefunden hatte. Sie hatte sich nicht satt gegessen an den Früchten, die zwischen Geburt und Tod in den Gärten der Mühsal wuchsen. Die Gärten der Mühsal konnten sehr hübsch sein. Sie würde sie nicht vermissen, wenn sie fort war, hätte es aber gerne getan. Sie wünschte sich ein Vermissen jenseits von Zeit und Raum, doch auch das Wünschen ging den Weg des letzten Atemzugs.
    Sie sah Anbar, der aus den Schatten ins Freie trat und sich umschaute. Überraschung und Verwunderung regten sich in seinen grauen Augen, angesichts der Stadt, die ihn umgab. Sie wuchs nach allen Seiten hin in den Himmel und lag strahlend schön im Sonnenlicht. Nur an einer Stelle brach sie abrupt ab. Dort fraß sich ein struppiges und unschönes Stück Erde in die Anordnung von Häusern. Es war gelbgrau verfärbt und von einem stachligen Gestrüpp überwuchert, das trotz seiner Üppigkeit verhungert aussah. Für einen Augenblick vergaß Anbar, wie betrübt er war. Dieses deplazierte Überbleibsel des Feuersandschen Grenzlandes gefiel ihm. Aber er konnte nicht stehenbleiben und es für den Rest seines Lebens anstarren. Er musste weitergehen, so wie immer.
    Elsa nahm Abschied. Sie konnte nicht länger verweilen, ihre Aufmerksamkeit blieb nicht mehr haften. Alles, was noch war, das Universum mit all seinen Welten und Lebenden, verschwand aus ihrer Wahrnehmung. Kaum dass es weg war, wollte sie es zurückhaben. Sie wollte in den Welten bleiben und von ihnen wissen. Sie wollte in sie eintauchen und etwas fühlen, doch damit war es vorbei. Denn man musste verhaftet sein, um das zu tun. Man musste sich den Formen und Veränderungen ausliefern, um sie zu schmecken. Man musste den Sinn aufgeben, um ihn suchen zu können. Man musste ihm hinterherlaufen, um ihn flüchtig zu erhaschen. Man musste verbannt sein, um seinen farbigen Saum zu sehen, und versehrt sein, um mit ihm zu spielen.
    Aus irgendeinem Grund, der sich ihr nicht erschloss, liebte es Elsa, mit dem Sinn zu spielen. Er war wie ein Geschöpf, dem sie zu gerne ihr Herz schenkte. Immer und immer wieder. Um selbst Sinn zu werden, dafür hatte sie ihn noch nicht genug geliebt. Noch lange nicht. Lieben konnte sie ihn aber nur, wenn sie in den Käfig zurückkehrte. Jetzt, solange der letzte Atemzug noch währte. Darum benutzte sie ihr letztes bisschen Willen, um das zu tun: Sie kehrte zurück an einen ausweglosen Ort, um wieder Teil einer Geschichte zu werden.
    Grenzenlosigkeit und Freiheit hörten sehr plötzlich auf. Von einem Moment auf den anderen war sie gefangen im Dunkel des Ganduup-Grabes, um darin zu sterben. Sie war wieder Elsa und sie steckte im Inneren ihrer eigenen beengten Haut, in einem nicht mehr lebensfähigen Körper, der seinen Tod erwartete. Mühsam suchte sie ihren Platz in der Schwärze hinter geschlossenen Augenlidern und irrte in einem Kopf umher, dessen Gedanken längst zum Erliegen gekommen waren. Für eine quälende, sich in die Länge ziehende kurze Zeit, ertrug sie die Gelähmtheit ihrer Glieder und die Verzweiflung eines Körpers, der seine Funktion einstellte. Unendlich langsam quoll die letzte Atemluft aus Elsas Nasenlöchern, dann war es vorbei. Das Leben ging und sie ging mit. Die Andeutung eines Flügelschlags, wohin, warum, ein großes Nichtwissen. Die verlassenen Hände der leblosen Elsa öffneten sich im Moment ihres Todes. Der Stein, den sie umklammert hatte, löste sich, fiel zu Boden und erlosch.

EPILOG
     
    An den letzten Herbst konnte sie sich kaum erinnern. Er lag schon ein paar Jahre zurück. Jetzt, da sie die blauen Blätter vom Himmel regnen sah, wirbelnd und leuchtend, da war es ihr, als hätte sie so etwas noch nie erlebt. Die Leute kamen von weither, um den Herbst von Tantalje zu sehen. Wegen der vielen Sonnen, die hier schienen, war das ein seltenes Ereignis. Es kam aber keiner in Luvisas Wald, glücklicherweise. Die ältesten Wälder
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