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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Autoren: Markus Kammer
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warf einen liebevollen Blick in die Ecke, wo Sanis kleiner Junge an seinem Plastikschwan nagte. Lostil, der alte Hund, lag der Länge nach wie ein ausgestopfter Wolf neben ihm.
    „Ja, natürlich“, sagte Puja.
    Es rumpelte an der Tür, Wenslaf schlug mit seiner Krücke dagegen. Sani machte ihm schnell auf.
    „Komm, komm!“, rief Wenslaf. „Der Lastwagen mit der Luftfracht ist da. Einen Tag früher als erwartet!“
    Sani warf sich die Jacke über. Wenslafs Augen leuchteten.
    „Kommst du nachher auch?“, fragte er Puja. „Kannst ja Kola mitbringen!“
    Puja nickte. Sie war froh, dass Wenslaf wieder laufen konnte und ein Ziel vor Augen hatte. Jetzt, da Sani mit ihrem Mann den Laden übernehmen wollte. Tomas’ Pläne waren zwar nicht nach Pujas Geschmack. Er sagte, man müsse mehrere Läden in der Gegend eröffnen, damit man die Ware in rauen Mengen zu einem Vorzugspreis einkaufen könne. Dann lockte man die Leute mit guten Preisen und warb sie so von anderen Läden ab. Auch wollte er weg von den Kuriositäten, die Wenslaf so geliebt hatte. Normale Lebensmittel, ein bisschen Mode, vielleicht auch Autozubehör. Das war im Kommen. Aber na gut, Puja war froh, dass es überhaupt weiterging. Kola brauchte jemanden, der auf ihn aufpasste, wenn Sani arbeitete. Jemand musste ihm etwas Gutes zu essen kochen, wenn die Eltern im Laden standen. Puja ging auf die Knie und setzte sich neben Lostil und den Jungen, der das Fehlen seiner Mutter bemerkt hatte und jetzt zu knören anfing. Sie hob ihn hoch, setzte ihn auf ihren Schoß und erzählte ihm eine Geschichte, für die er noch viel zu jung war.
     
    HOLANDA irrte zwischen den toten Leibern in völliger Dunkelheit umher. Sie leuchtete nicht, auch die Ganduup leuchteten nicht mehr. Holanda versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch die Art, wie sie bisher gedacht hatte, war ihr abhanden gekommen, ebenso wie das Leuchten und die Vielheit, die sie einmal erfüllt hatten. Ihr war nur ein Körper geblieben, der sich beschädigt anfühlte. Angezogen von einem letzten, fahlen Licht stolperte Holanda durch die Reihen der liegenden Toten und gelangte zu dem Ort, an dem Elsa aufgebahrt worden war. Sie wirkte genauso leblos wie alle anderen hier. Doch sie umklammerte einen Stein mit ihren Händen und der schimmerte schwach. Holanda betrachtete das Licht, das man nur sehen konnte, weil es stockfinster war. Es war dazu verdammt, auszugehen, genauso wie der Körper, der es hielt, sterben musste. Der Tod war fast eingetreten, es fehlten nur noch drei Atemzüge, die der Körper in unwirklicher Langsamkeit vollzog, die schreckliche Zeit anhaltend. Holandas Beine versagten, sie sackte neben der Bahre zu Boden und blieb dort hocken. Sie war gesund und lebendig, doch in ihrer Funktion beeinträchtigt. Sie war genau so, wie man sie erdacht hatte. Warum benutzte sie denn niemand? Sie versuchte den Mund aufzumachen und etwas zu sagen, doch nur ein komisches Geräusch löste sich aus ihrem Hals. Jemand müsste kommen und sie wieder zum Laufen bringen. Alleine konnte sie es nicht. Doch Hilfe war nicht zu erwarten. Sie würde so lange hier sitzen, bis das dunkle Grab zu ihrem eigenen geworden war.
     
    LEGARD hatte es schwer. Er konnte vieles, er vermochte Unglaubliches, aber wie mit einem missgestimmten Anbar umzugehen war, das war ein Rätsel, dessen Lösung er sich in den letzten Jahren nur mühsam angenähert hatte. Seit Stunden sprach der gute Mann kein Wort. Irgendwann einmal hatte Legard einen Trick entdeckt, wie er Anbar aus seinen Grübeleien aufschrecken und ins Leben zurückholen konnte. Das tat man am besten, indem man beiläufig ein gewisses Rabenmädchen erwähnte. Je nach Stimmung, Anlass oder Bedarf war es praktischer, Anbar über sie auszufragen oder Mutmaßungen über sie anzustellen, ihre Bedürfnisse zu diskutieren oder mögliche Auswirkungen der gegenwärtigen Situation auf ihr zukünftiges Wohlbefinden aufzuzeigen. Legard war ein wenig stolz darauf, wie weit er es mit dieser Technik gebracht hatte. Das Problem daran war hier und heute, dass das Rabenmädchen keine Zukunft mehr hatte, an der Anbar irgendwas hätte ändern oder verbessern können. Sie war fort, verschwunden und daher nicht mehr einsetzbar, um Anbars Laune zu heben.
    Dabei musste so vieles besprochen werden, bevor sie entdeckt wurden. Seit dem Erdbeben, vielmehr dem Erdmassaker, das sie wunderbarerweise überlebt hatten, kletterten sie durch frisch entstandene Schluchten, krochen durch dunkle Tunnel und
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