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Rabenbrüder

Rabenbrüder

Titel: Rabenbrüder
Autoren: Ingrid Noll
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Bedeutungen aufklärte. Nicht immer war Los! oder Auf geht’s! gemeint, sondern gele-gentlich auch Hab’ ich’s mir doch gleich gedacht! Und jetzt würde ihm Olga wohl verklickern, was eine Tranfunzel war - sicherlich am Beispiel ihres bedächtigen Exmannes.
    Lauer Wind
    Als Paul seine spätere Frau kennenlernte, absolvierte sie gerade einen Intensivkurs für Spanisch; kurz darauf begann sie einen Lehrgang für Führungskräfte. Das Motto klang harmlos: Wie löst man Konflikte im beruflichen Alltag? Damals hatte sich Paul noch für Annettes Job interessiert. Passive und unselbständige Mitarbeiter mußten motiviert werden, das war auch ihm klar. Im nachhinein hatte er lediglich behalten, daß ein Chef das Wörtchen müssen niemals in den Mund nehmen darf, wenn er seine Angestellten optimal manipulieren möchte.
    Schon bald aber reagierte er allergisch auf Annettes Erziehungsversuche, die sie stets durch antrainierte Wortwahl zu tarnen versuchte. »Wie wäre es, wenn wir gemeinsam überlegten ...« oder »es ist zwar lieb von dir, daß du daran gedacht hast, aber noch mehr würde ich mich freuen ...«
    Solche Reden waren der Grund, warum er seinen Aschenbecher nicht leerte, seine Jacke nicht aufhängte und weder das schwarze Ledersofa aus seiner Junggesellenzeit noch den nußbaumfurnierten Sekretär seiner Mutter gegen Designermöbel eintauschte. »Wie alt ist man eigentlich, wenn man die Trotzphase durchmacht?« fragte sie zuweilen mit dem professionellen Lächeln einer Kindergärtnerin.
    Eine tüchtige, aber auch selbstgerechte Frau hatte er nun
    an der Hacke. Eine Partnerin, die viel mehr verdiente als er, rastlos arbeitete und ihm immer wieder auf subtile Weise zu verstehen gab, daß er ein Drückeberger war. Wenn sie neun Stunden in der Firma und anschließend noch im Haushalt geschuftet hatte, war sie todmüde und unfähig zu irgendwelchen erfreulichen Aktivitäten. Aus der ganz großen Karriere, die sie vielleicht angestrebt hatte, war jedoch nichts geworden. Immer noch thronte der muffelige sechzigjährige Direktor der Exportabteilung über ihr. Wahrscheinlich war es Annette bisher noch nicht klargeworden, daß sie ohne Hochschulabschluß als Nachfolgerin kaum in Frage kam.
    Der Beginn ihrer Freundschaft hatte sich unbeschwert und heiter angelassen. Er hatte sich in Annette verliebt, ohne von ihrem ererbten Häuschen oder ihrem Spitzengehalt etwas zu ahnen. Seine Unkenntnis über die schwere Hypothek einer finanziellen Ungleichheit hatte ihn vor Selbstzweifeln geschützt.
    Einige Jahre später kam ihm die Idee, an jene verliebten Tage anzuknüpfen und die gemeinsamen Osterferien in Andalusien zu verbringen. Nächstes Jahr, hatte Annette versichert, denn diesmal müßten sie den gesamten Urlaub in den Staaten verbringen, um ihr Englisch aufzupolieren. Im Frühling darauf hatte sie ihr Versprechen bereits völlig vergessen.
    Als er Olga seine Enttäuschung andeutete, hatte sie gelacht. »Wo ist das Problem?« fragte sie, »dann fliege ich mit dir nach Granada, ich liebe heimliche Eskapaden!«
    Paul war nicht ganz wohl bei dieser Idee, ein anderes Ziel wäre ihm lieber gewesen. Falls Annette je davon erführe, würde sie ihm nie verzeihen. Er empfand es bereits als brenzlig, sie ständig über sein spätes Heimkommen informieren zu müssen, und hielt es geradezu für ein Wunder, daß seine Frau noch keinen Verdacht geschöpft hatte. Wenn sie nun wegen ihrer Krankheit zu Hause bleiben mußte, konnte er sich nicht einfach davonstehlen. Als er schließlich Markus in der Klinik erreichte, wurde er beruhigt. Alles sei halb so schlimm, Annette leide bloß unter einem Erschöpfungssyndrom.
    Die Affäre mit Olga hatte sich vor ungefähr einem halben Jahr angebahnt. Völlig überraschend hatte sie Paul im Büro aufgesucht. Sein Sozius war im Urlaub, und auch Paul hatte wenig zu tun und langweilte sich über einer öden Mietwucherakte, die ihm sein Partner vererbt hatte; auf seiner untersten Schreibtischschublade lagen seine Füße, auf der obersten ein aufgeschlagener Kriminalroman.
    Olga wollte sich scheiden lassen, weil ihr Mann nach all den vorangegangenen Querelen eine feste Freundin gefunden habe. »Du wirst es nicht glauben«, sagte sie, »es ist eine polnische Putzfrau!«
    Paul war tatsächlich verblüfft. Allerdings wandte er ein, daß er einen Taxifahrer kenne, der Ethnologe, und eine tschechische Haushaltshilfe, die promovierte Tierärztin sei.
    Persönlich habe sie bestimmt keine Vorurteile, versicherte
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