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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition)
Autoren: Nikola Hotel
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Erste, was ihm einfällt, wenn er wieder ansprechbar ist, ist nach dem Raben zu fragen? Hat der keine anderen Sorgen?«
    »Es schien ihm furchtbar wichtig zu sein. Ich habe ihm jedenfalls gesagt, du hättest den Raben begraben. Hast du doch, oder?«
    Ich hatte das Tier nach unserer Rückkehr in einer der Plastikkisten abgelegt, die vor meiner Haustür standen und sonst zum Einkaufen verwendet wurden. »So gut wie.«
    »Ich muss schon sagen, mittlerweile kenne ich dich doch ziemlich gut«, sagte Marek. »Der Spaten steht übrigens am Schuppen neben meinen Kräutern. Und wehe du lässt deine Wut an meinem Beet aus!«
    Ich musste lachen und Marek stimmte mit ein. »Wusste ich doch, dass dir das gefallen würde.«
     
    Tatsächlich fand ich den Spaten an der angegebenen Stelle und überlegte kurz, ob ich den Raben nicht unter Mareks Rosmarinbaum pflanzen sollte, nahm aber doch davon Abstand .  
    Ich begann ein Loch in die Wiese hinter meinem Häuschen zu graben. Ganz in der Nähe hörte ich ein Krächzen. Ein Blick nach oben bestätigte mir, dass der Kolkrabenschwarm, der uns schon den kompletten Weg von der Luchsfalle bis nach Hause verfolgt hatte, wieder über mir schwebte. Der Boden war steinhart und ich musste mein ganzes Körpergewicht einsetzen, um den Spaten in die Erde zu treiben. Als mir das Loch tief genug schien, holte ich den Raben aus der Einkaufskiste und legte ihn behutsam in sein Grab.
    Ein Rascheln neben mir ließ mich zusammenfahren. Einer der Raben war plötzlich gelandet und kam neugierig angetrippelt. So nah war mir noch nie ein Vogel gekommen, und ich überlegte, ob er mich wohl für so dämlich wie einen Wolf hielt, weil er mich ungeniert beim Graben beobachtete.
    »Das ist kein Futter für dich«, erklärte ich dem Tier geduldig. »Du bist doch kein Kannibale, oder?« Er flatterte aufgeregt neben dem Erdloch und stieß weiter krächzende Laute aus. »Schau mich nicht so vorwurfsvoll an, ich habe deinen Kollegen nicht auf dem Gewissen.«  
    Das Tier hackte als Antwort die noch geschlossene Erde auf, dann stieß er sich mit Schwung vom Boden ab. Ich schüttelte belustigt den Kopf, während ich das Loch wieder mit Mutterboden füllte.
    »Neugierige kleine Biester!«, sagte ich laut.

 Klangtränen
     
     
     
    J eden Morgen kam die Schwester um halb sechs, um meine Körpertemperatur zu kontrollieren. Ich schaute auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand. Mir blieben noch acht Minuten.
    Ich war nicht daran gewöhnt, nach der Uhr zu leben. Wenn überhaupt, dann nur nach meiner inneren. Für gewöhnlich orientierte ich mich an der Sonne, die den Frost auf den Grashalmen zu Tau schmolz. An den Schatten, die sie zog, bis sie länger waren als Bäume. Das war die einzige Uhr, die zu Lesen ich gewöhnt war. Ich brauchte keine andere.
    Doch in dieser Umgebung hier, die Tag und Nacht verdrehte, die alles mit weißem Licht geißelte und mein Herz flattern ließ wie Mottenflügel um eine Flamme - in dieser Umgebung war mir, als verlöre ich mich.
    Das hier war ein fensterloses Gefängnis. Nicht einmal eine Zimmerpflanze brachte Leben. Als einziges Beiwerk stand ein Bücherregal am anderen Ende des Raumes. Obwohl die Titel für ein menschliches Auge kaum zu entziffern waren, konnte ich sie ohne Weiteres lesen. Die obligatorische Bibel war darunter, ein Ordner mit Informationsblättern sowie ein Schmuckband mit Sprichwörtern des Friedens und der Besinnung. Welch ein Gewäsch! Als ließe sich in diesem Zimmer Frieden finden! Ungeduld breitete sich in mir aus. Zusammen mit den Schmerzen der vergangenen Tage steigerte sie die Hitze in meinem Körper.
    Mein Rabenblut drängte.
    Das war nicht gut. Ich konnte diesem Drang nicht nachgeben. An eine Flucht war nicht zu denken, jetzt wo mein Arm zum Fliegen unbrauchbar war. Um nicht aufzufallen, würde ich mich besser anpassen und wieder an den menschlichen Stoffwechsel gewöhnen müssen. Das war nicht leicht, aber nicht unmöglich.
    Noch sechs Minuten.
    Leider war die Umgebungstemperatur nicht geeignet, mir bei der Regulation zu helfen, denn es war viel zu warm. Trotzdem versuchte ich, die Hitze aus meinem Kopf abzuleiten. Ich stellte mir vor, mit einem kühlen Wind zu segeln, der meine Schwungfedern streichelte. Unter mir glitzerte ein See mit flacher Uferzone. Ich stürzte mich in das Gewässer hinab. Ich fühlte es. Das dunkle Nass schlug über meinen Schwanzfedern zusammen. Ein eisiger Sog zerrte an jeder Faser meines Gefieders und spülte die Hitze fort.
    Wie
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