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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition)
Autoren: Nikola Hotel
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konnte das Becken nicht loslassen, ohne umzufallen. Ich fühlte mich alt und schwach wie ein Tattergreis.
    » Soll ich Ihnen beim Waschen helfen?«  
    »Unter keinen Umständen!« Mit einer Kopfbewegung scheuchte ich sie hinter den blassgelben Vorhang zurück und sank auf einen Stuhl.
    »Ich habe Ihnen eine Zahnbürste besorgt. In dem weißen Becher.« Die Bettdecke raschelte.
    Mein Gott - selbst die einfachsten menschlichen Bedürfnisse waren mir fremd geworden. Ich angelte nach der Zahnbürste und klemmte sie mir zwischen die Zähne. Während ich mit dem Tubenverschluss kämpfte, dachte ich darüber nach, wie lächerlich es war, sich mit solch banalen Handlungen abzugeben. Viel Wichtigeres wartete.
    Ich musste in Erfahrung bringen, wo Pavel war. Sein Körper. Und ich musste seine Familie benachrichtigen, so sehr es mir auch davor graute. Sie hatten so viel Grund mich zu hassen. Ich hasste mich ja selbst dafür, dass ich ihn nicht hatte retten können. Ich hatte ihn so armselig sterben lassen. Einen einfachen Rabentod.
    Wahrscheinlich war er irgendwo verscharrt worden, in feuchter, ungeweihter Erde.
    Wenn nur dieser Mann wiederkäme - wie hieß er noch gleich? Marek? Ein freundlicher, ruhiger Mann. Ein Mann, der sich sorgte und verantwortlich fühlte. Ich sollte versuchen, bei ihm Anschluss zu finden. Was war schon ein Mensch alleine? Nicht viel mehr als ein Rabe ohne seinen Schwarm.
    Die plötzliche Stille im Zimmer ließ mich vermuten, dass Schwester Tereza etwas gefragt hatte.
    »Ja gewiss«, antwortete ich aufs Geratewohl. Was konnte es schon gewesen sein?
    »Einen Moment, ich hole nur die Rasierklinge.«
    Auch das noch! Heute blieb mir aber auch nichts Menschliches erspart. Ich strich mit den Fingern über mein Gesicht. Langes, drahtiges Haar bedeckte mein Antlitz von den Wangenknochen bis hinunter zum Hals. Ich musste zum Fürchten aussehen. Entweder die Schwester hatte ein ausgeprägtes Helfersyndrom oder sie war furchtbar neugierig, wie ich unter diesem Wust von Barthaaren aussah.
    Vermutlich Letzteres.
    Allerdings konnte es nicht schaden, mit Wohlwollen betrachtet zu werden. Das vereinfachte ein Menschenleben ungemein. Deshalb ließ ich mich wenig später von ihr rasieren. Sie hatte eindeutig Geschick darin, wesentlich mehr als ich. Sollte ich das in Zukunft selbst übernehmen müssen, würden meine Wangen mit Schnitten übersät sein.
    Schwester Terezas Augen wanderten über mein Gesicht. Sie spitzte die Lippen und stieß einen undamenhaften Pfiff aus. Ich meinte, fast etwas wie Stolz in ihren Zügen zu erkennen und hegte die Befürchtung, dass sie mich bei nächster Gelegenheit präsentieren wollen würde.
    Du musst deine Scheu ablegen! , sagte ich mir wiederholt. Aber viel lieber wollte ich in der Masse untertauchen wie in einem Schwarm Kraniche, der zu einer fliegenden Eins verschmelzen konnte und vor dem Nordwind flüchtete. Hätte ich nur flüchten können! Vor diesen Menschen, die mich berührten, untersuchten, mit Drogen betäubten und mein Rabenwesen bedrohten.  
    » Soll ich Ihre Haare -?«  
    »Kommt nicht infrage!«, unterbrach ich sie. Die Grenze des Ertragbaren war für heute erreicht. Meine Kräfte verließen mich und das machte mich unaufmerksam.
    »Wieder bereit für den Rückweg? Wie fühlen Sie sich?«
    »Blümerant.« Es war mehr ein Seufzen denn eine Antwort. Die Schwester runzelte die Stirn. Ich hatte unbedacht geantwortet. So sprach hier niemand, und ich lief Gefahr, zu viel von mir preiszugeben. Dabei hatte ich die letzten Tage, die ich wieder bei Bewusstsein war, darauf verwandt zuzuhören. Auf die Stimmen um mich herum, die Tonlagen, die Wortschätze und die passenden Gesten. Ich hatte damals so vieles anders gelernt. Aber ich durfte mein früheres Leben nicht mit dem dieser Menschen hier vergleichen. Vergleichen hieße, darüber nachzudenken, und ich wollte mich nicht daran erinnern.
    Es strengte mich weniger an, das Bett zu erreichen, als befürchtet. Vielleicht pulsierte mein Blut jetzt stärker durch meine Adern, nährte jede Zelle, um mich so menschlich wie möglich sein zu lassen. Ich rieb mir über die Augen und versuchte abermals die Buchrücken an der Wand zu lesen - es gelang mir nicht. Möglicherweise war ich auch nur zu müde. Ich ließ mich in das Kissen zurücksinken und jäh wurde mir bewusst, dass ich die Weichheit die mich umgab, zu genießen begann.
    Denken Sie an etwas Schönes , hatte Schwester Tereza empfohlen. An Musik sollte ich denken. Sie konnte ja nicht
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