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Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Titel: Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Autoren: Martin Calsow
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Panisch drückte Quercher den Hund an seine Brust und beugte sich über ihn.
    So wie ein Grab sich mit Erde füllt, drang der Schnee in alle Ritzen und Ecken des Kellers, fiel in Kaskaden hinein, drängte sich in den Keller, kroch auf Quercher zu und hörte nicht auf zu fließen und zu quetschen. Lumpi winselte.
    Das war es, dachte Quercher.

Kapitel 44
    Wolfsschlucht, Gemeinde Kreuth, Donnerstag, 21.   12., 02.01   Uhr
    Bergretter Franz Heilingbrunner kannte Lawinen. In jedem Winter brachte er mit seinen Kollegen Dutzende von ihnen kontrolliert zum Abgang. Er warf Sprengstoff aus Hubschraubern oder kletterte die Hänge hinauf und deponierte den Sprengstoff dort, um so das Tal frei zu halten. Aber noch nie hatte er so eine Lawine hier erlebt. Die Blauberge, so konnte er sich erinnern, waren die letzten Jahre immer lawinenfrei geblieben. Und jetzt lag vor ihm und seiner Mannschaft im gleißenden Schein der eilig aufgestellten Flutlichtscheinwerfer des Technischen Hilfswerks ein zwei Kilometer langer Strom aus Schnee, Geröll, zerfetzten Bäumen und Granitblöcken. Er reichte von der Wolfsschlucht bis hinab nach Siebenhütten. Es würde Tage dauern, bis sie hier die Körper der Verschütteten finden würden und bergen konnten. In aller Eile hatte er mit einem Rundruf über fünfzig Bergwachtler zusammengetrommelt: Mit zwei Meter langen Sonden standen sie in einer Reihe und bewegten sich langsam aufwärts. Vor dieser Gruppe gingen drei Teams mit ihren Suchhunden. Heilingbrunner führte sie mit seinem Australian Shepherd an.
    Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Heilingbrunner wusste um die Kraft und Wucht der Schneemassen. Allein das Überleben in der Lawine grenzte an ein Wunder. Eine solche Schneebrettlawine, wie er sie hier vorfand, donnerte mit einer Geschwindigkeit von acht bis zehn Metern in der Sekunde zu Tal. Sie konnte dabei einen Druck von dreißig bis vierzig Tonnen pro Quadratmeter entwickeln. Zum Zerbrechen einer Ziegelsteinmauer genügte bereits ein Druck von einer halben Tonne pro Quadratmeter. Nach fünfzehn bis fünfunddreißig Minuten trat der ›tödliche Knick‹ der Überlebenswahrscheinlichkeit ein. In dieser Zeit starben alle Verschütteten ohne Atemhöhle an raschem Ersticken. Mit dem rettenden Luftraum im Schnee konnte man zwar bis zu neunzig Minuten in relativer Sicherheit überleben, Sauerstoffmangel und Unterkühlung führten aber nach spätestens zwei Stunden meist zum Tod. Nur mit sehr großen Atemhöhlen oder einer Luftverbindung nach außen waren auch längere Überlebenszeiten möglich. Wenn die Temperatur im einstelligen Minusbereich lag. Doch als Franz Heilingbrunner sein Team in Bewegung setzte, herrschten siebzehn Grad – minus.
    Niemand sprach. Man hörte die Schritte der Männer im Schnee und das Keuchen der Hunde. Der Mond half mit seinem Licht. Ruhig und konzentriert lief Heilingbrunner in seinem Rhythmus, versuchte, sich in den Ort hineinzudenken. Da, wo ein Wald den Weg in die Schlucht begrenzte, war eine weiße Fläche, aus der ein paar umgestürzte Bäume mit zerrissenen Stümpfen hervorragten. Wie ein Schlachtfeld, dachte Heilingbrunner, als er etwas vernahm. Es war ein Ruf. Er riss seine Hand nach oben. Die Gruppen blieben sofort stehen. Heilingbrunner schob seine Mütze vom Kopf, drückte seine Hände gegen die kalten Ohren und lauschte dann in die Stille. Da war es wieder. Irgendwo weiter vorn, schwer zu lokalisieren. Er nahm sein Fernglas mit Restlichtverstärker und schwenkte über die Fläche. Es war nichts zu sehen. Nur Baumstümpfe, Felsbrocken und Schnee. Ein Fuchs lief über die Lawinenfläche. Heilingbrunner schwenkte nach rechts und griff dabei vorsichtig nach seinem Funkgerät.
    »Fünfzig Meter auf ein Uhr, das muss etwa Standpunkt Königshütte sein. Da habe ich was gehört.«
    Der Hundezugführer hinter ihm wollte sein Tier losbinden und laufen lassen. Aber da sahen sie ein Schneebrett, das sich weit oberhalb aus dem Lawinenfeld gelöst hatte und sich langsam, aber stetig über die freie, abschüssige Fläche schob. Selbstschutz war für die Retter das oberste Gebot. Sofort zog Heilingbrunner seine Mannschaft nach links und ließ das Brett passieren. Es bildete aufgrund seines geringen Tempos keine Gefahr für sie, mahnte aber zur Vorsicht. Als er wieder den Befehl zum Weitersuchen geben wollte, meldete sich die Einsatzzentrale. Man wies ihn an, die Suche sofort abzubrechen.
    Heilingbrunner war verstört und wütend. »Was soll das? Wer ordnet das an?
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