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Quellen innerer Kraft

Quellen innerer Kraft

Titel: Quellen innerer Kraft
Autoren: Anselm Gruen
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damit er sich nicht als Verlierer fühlen musste, interpretierte er seine Aggressionslosigkeit dann religiös als Gewaltlosigkeit im Sinne der Bergpredigt. Doch mit 40 Jahren wurde er depressiv. Die Quelle der Aggression fehlte ihm. Er musste erst wieder mit seiner Aggressionskraft in Berührung kommen, damit er neue Lust an seiner Arbeit bekam. Die Erfahrung zeigt immer wieder: Wer nicht aus der gesunden Quelle der Aggression schöpft, der richtet die Aggression, die in ihm wurzelt, schließlich gegen sich selbst.

    Andere interpretieren ihre Unfähigkeit, sich durchzusetzen, mit dem Sprichwort: „Der Klügere gibt nach.“ Darin steckt sicher etwas Wahres. Doch wenn ich damit meine Unfähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zu artikulieren, verdecke, werde ich mit meinem ständigen Nachgeben nicht zur Klarheit beitragen. Und Unklarheit wird Aggressionen auslösen. Ähnlich ist es bei der Harmonisierungssucht. Ein Mensch, der auf Harmonie aus ist, hat eine durchaus positiv zu bewertende Fähigkeit. Ihm liegt daran, dass die Menschen gut miteinander auskommen. Aber wenn das Streben nach ständiger Harmonie dazu führt, dass ich jeden Konflikt übersehe oderverdränge, dann wird diese Haltung keinen Segen bringen. Manche verbinden ihr Harmoniebedürfnis mit dem Vorwurf an andere, die nicht der gleichen Meinung sind. Sie bewirken in ihnen Schuldgefühle – und merken gar nicht, wie sie damit Macht ausüben und ihre Meinung absolut setzen.

    Es ist nicht immer leicht, zu entscheiden, ob eine religiöse Vorstellung „stimmt“ oder ob sie nur eine Ideologie ist, um unsere trüben Quellen zu kaschieren. Für mich ist zum Beispiel die Ehelosigkeit ein wichtiger Wert. Aber ich kenne auch Ordensleute, die ihre Unfähigkeit zu wirklichen Beziehungen mit der Idee des Zölibats überhöhen. Ein wichtiges Kriterium, um zu unterscheiden, ob Ehelosigkeit religiöse Überhöhung oder ein authentischer spiritueller Weg ist, wird immer die Auswirkung auf die Psyche des Menschen und auf seine Umgebung sein. Wer die Ehelosigkeit stimmig lebt, für den wird sie fruchtbar: Er fühlt sich lebendig, und sein Leben wird auch für andere zum Segen. Wenn ich jedoch meine Unfähigkeit zu menschlicher Beziehung und Freundschaft als Charisma der Ehelosigkeit ausgebe, dann wird mein Leben zum Krampf – und es wird auch andern nicht gut tun. Meine Verkündigung der frohen Botschaft Jesu wird vielmehr immer wieder durch meine unterdrückten Bedürfnisse verfälscht. Ich werde entweder meine Geltungssucht in der Verkündigung ausleben oder aber mein Machtbedürfnis, indem ich anderen ein schlechtes Gewissen vermittle.

    Meditation ist für mich ein wichtiger Weg, um mit meiner inneren Quelle in Berührung zu kommen. Aber ich kenne Menschen, die meditieren, um dem Leben auszuweichen. Sie flüchten sich in die Meditation, weil sie unfähig sind, sich auf Menschen einzulassen. Ihre Beziehungsstörung überhöhensie spirituell. Sie fühlen sich als etwas Besonderes und merken gar nicht, dass ihre Meditation sie nicht zum Leben führt, sondern in die Isolierung. Doch diese Isolierung verstehen sie als Ort, an dem sie ihre Spiritualität leben können. Doch von solchen Menschen geht keine Kraft aus. Sie kreisen letztlich in der Meditation nur um sich, anstatt aus der inneren Quelle heraus für die Menschen dazu sein und sich an die Arbeit hinzugeben.

    Man kann alle spirituellen Wege auch missbrauchen. In der christlichen Tradition spielte der Begriff des Opfers eine große Rolle. Für meine alt gewordene Mutter war es zum Beispiel ein guter Weg, ihre Krankheit für ihre Kinder und Enkelkinder aufzuopfern. Das half ihr, ihre Krankheit mit innerer Fröhlichkeit zu tragen, anstatt darüber ständig zu jammern. Aber wenn die Opfermentalität übertrieben wird, kann sie auch zum Vorwurf an andere werden: „Ich opfere mich für dich auf, weil du so egoistisch bist, weil du deine eigenen Interessen im Sinn hast. Ich opfere mich für dich, aber du bist so undankbar.“ Dann wird das Opfer im andern Schuldgefühle hervorrufen und letztlich Macht ausüben. Opfer meint eigentlich Hingabe. Aber ein Opfer, mit dem ich andere unter Druck setze, ist keine Hingabe, sondern ein Mittel, andere an mich zu binden und sie zu verpflichten. Dann aber strömt es aus einer trüben Quelle und bewirkt in der Umgebung Unklarheit und Verwirrung.

2. Klare Quellen
     
    W ir sehnen uns in unserem Leben nach etwas, was uns neue Kraft, Frische und Klarheit gibt. Die Sehnsucht nach der
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