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Quellen innerer Kraft

Quellen innerer Kraft

Titel: Quellen innerer Kraft
Autoren: Anselm Gruen
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weiter und schneiden unsere Seele von der lebendigen Quelle im eigenen Inneren ab.

Religiöse Überhöhung
     
    Menschen neigen dazu, ihre Verhaltensweisen mit höherer Bedeutung auszustatten. Dass es zu ideologisch überhöhten Bemäntelungen letztlich ganz anders motivierter Haltungen kommt, finden wir nicht nur in der Politik. Nicht nur problematisch, sondern gefährlich wird es, wenn wir unsere trüben Quellen mit einem frommen Mantel umgeben und unsere kranken Lebensmuster religiös überhöhen. Denn dann meinen wir, wir würden aus einer spirituellen Quelle schöpfen. In Wirklichkeit ist es jedoch eine trübe Quelle, aus der kein Segen strömen kann. Manche Menschen tun sich etwa schwer, mit Konflikten umzugehen. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. In unserer Familie war Harmonie ein wichtiges Gut. Doch das führte dazu, dass Konflikte eher unter den Teppich gekehrt wurden. So fiel es mir lange schwer, mit Konflikten angemessen umzugehen. Auch heute noch ist das noch nicht meine größte Stärke. Doch ich weiß, dass es für mich eine bleibende Aufgabe ist, Spannungen nicht auszuweichen, sondern sie, wo sie auftauchen, auch direkt anzusprechen und nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen. Wenn ich einen Konflikt gelöst habe, dann fühle ich michbesser und neue Energie fließt in mir. Wenn ich ihn dagegen vor mir herschiebe, dann raubt er mir den inneren Schwung. Ich kenne viele, die sich schwer tun mit Konflikten. Dafür habe ich Verständnis. Doch wenn sie ihre Unfähigkeit, Konflikte anzugehen, mit ihrer christlichen Gesinnung rechtfertigen, dann reagiere ich allergisch. Denn ich spüre, dass sie ihre Schwäche religiös überhöhen und als spirituelle Stärke auszugeben suchen. Da hört man zum Beispiel den Satz: „Jesus fordert uns auf, wir sollten unser Kreuz tragen.“ Menschen, die den Konflikt also als das Kreuz ansehen, das ihnen Jesus aufbürdet, missbrauchen letztlich das Jesuswort aber dazu, den Konflikten auszuweichen. Sie reagieren passiv und fühlen sich bereitwillig als Opfer. Doch als Opfer werden sie auch zu Tätern, weil sie mit ihrer Weigerung, sich den Konflikten zu stellen, in ihrer Umgebung nur weitere Aggressivität erzeugen. Anstatt mit der Quelle ihrer Aggressionskraft in Berührung zu kommen, machen sie die andern aggressiv. Was noch dazu kommt: Sie verstehen Jesus falsch. Sie benutzen ihn, um ihr eigenes Verhalten zu rechtfertigen. Doch Jesus ist gekreuzigt worden, weil er sich den Konflikten gestellt und gegen die herrschende Meinung der Sadduzäer ein anderes Gottesbild verkündet hat. Er hat sich mit einer mächtigen religiösen Gruppe angelegt, als er die Händler aus dem Tempel vertrieb. Das Kreuz im Sinne Jesu zu tragen würde also gerade heißen, sich den Konflikten zu stellen. Wer sein Ausweichen als Kreuz interpretiert, der merkt gar nicht, wie er seine trübe Quelle religiös überhöht. Von ihm wird nicht nur kein Segen ausgehen, ein so missverstandenes „Kreuztragen“ wird die Konflikte vielmehr nur noch anheizen.

    Es gibt natürlich, wie schon gesagt, nicht nur die religiös eingefärbte Überhöhung eigener Verhaltensweisen. Man kannseine Konfliktunfähigkeit immer auch ideologisch verdecken. Verena Kast hat in ihrem Buch „Abschied von der Opferrolle“ gezeigt, wie manche Menschen sich in der Opferrolle eingerichtet haben und damit selbst zu Tätern werden. Ihr Opfer wirkt auf andere Menschen aggressiv und macht sie oft genug zu Opfern. Pascal Bruckner hat diese Opfermentalität als typisches Kennzeichen unserer Gesellschaft beschrieben. Viele fühlen sich als Opfer. Die Unternehmer fühlen sich als Opfer der Politik, die Arbeitnehmer als Opfer der Arbeitgeber. Die Frauen fühlen sich als Opfer der Männer und umgekehrt die Männer als Opfer der Frauen. Wer in der Opferrolle bleibt, sieht die Schuld immer bei den andern. Er weigert sich, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Er trägt nichts dazu bei, dass Probleme gelöst werden. Er bleibt in seiner Rolle als Ankläger und verweigert letztlich das Leben.

    Eine Frau hatte sich völlig für Hilfsbedürftige aufgeopfert. Nun war sie erschöpft. Sie wollte in Exerzitien wieder Kraft tanken. Anfangs war es sehr schwierig, an sie heran zu kommen. Denn jede Infragestellung, ob sie ihre Grenzen genügend beachtet habe oder warum sie sich so grenzenlos aufopfere, beantwortete sie immer mit einem salbungsvollen Hinweis auf den Willen Jesu: „Jesus will ja, dass ich ganz für die anderen da bin.“ Natürlich
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