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Quellen innerer Kraft

Quellen innerer Kraft

Titel: Quellen innerer Kraft
Autoren: Anselm Gruen
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wurde deutlich, dass hinter dem Bild des pädagogischen Eros etwas ganz anderes stand. Die Frau war die jüngste von drei Töchtern. Sie stand ihr Leben lang unter dem Druck, sich vor dem Vater beweisen zu müssen. Die Schweizer Therapeutin Julia Oncken meint, die größte Verletzung der Tochter sei, vom Vater übersehen zu werden. Solche Verletzungsangst führt zu drei Rollenmustern: zur Gefalltochter, die dem Vater jeden Wunsch von den Lippen abliest; zur Leistungstochter, die sich durch ihre Leistung beweisen möchte, und zur Widerspruchstochter, die den Vater in hitzige Diskussionen verwickelt. Ziel dieser drei Verhaltensweisen ist es, endlich vom Vater gesehen zu werden. Doch die Frau, die alles tut, um vom Vater gesehen zu werden, wird in seiner Sehnsucht niewirklich gestillt. Sie wird immer mehr geben, als ihrer Kraft entspricht. Und sie wird bald erschöpft sein.

    Die Frau eines evangelischen Pfarrers erzählte mir, ihre jüngste Tochter sei eine solche Widerspruchstochter. Sie sei sogar aus der Kirche ausgetreten, um endlich von ihrem Vater gesehen zu werden. Doch selbst dieser Schritt hat den Vater nicht dazu bewegen können, sich wirklich um die Tochter zu kümmern und sich mit ihr auseinander zu setzen. Kein Wunder, dass die Tochter todunglücklich blieb. Was sie getan hatte, war ja nicht einer Gewissensentscheidung oder einem theologischen Konflikt entsprungen, sondern war motiviert von ihrer Sehnsucht, vom Vater endlich beachtet zu werden. So hat sie sich von ihrem eigenen Herzen entfernt. Alle Kraft, die in ihr steckte, hat sie in den Widerspruch verlegt. So blieb ihr keine Energie mehr, ihr Leben zu meistern.

    Bei einem Kurs thematisierten wir das Motiv der eigenen Lebensspur. Einige Teilnehmerinnen berichteten, dass sie durchaus ihre innere Quelle entdeckt haben, aber auch, welche inneren Blockaden sie behindern. Manchmal fließt das Leben in ihnen. Eine Frau macht oft die Erfahrung, dass ihr die Arbeit von der Hand geht. Ihr fällt dann alles leicht. Doch dann taucht die innere Stimme des Vaters auf, die sagt: „Du musst dich auf ein Ding konzentrieren. Das Leben ist anstrengend. Nur wenn du dich anstrengst, ist es gut.“ Diese innere Stimme hindert sie daran, sich selber zu trauen. Sie kann sich dann nicht mehr darüber freuen, dass ihr alles leicht von der Hand geht. Sie setzt sich unter Druck und meint, sie müsse noch etwas Anstrengendes tun, um die innere Vaterstimme zu befriedigen. Das Strömen aus der inneren Quelle vermag sie nicht zu genießen. Genießen – sosuggeriert ihr der innere Vater – darf man nur, wenn man sich angestrengt hat.

    Eine andere Frau hatte schon im Studium gespürt, dass sie etwas zuwege bringt und dass Leistung sie auch beflügelt. Und auch in ihrem Beruf entdeckt sie ihre Kraft, die es ihr möglich macht, die Probleme, die sie als Rechtsanwältin zu bearbeiten hat, schnell und effektiv zu lösen. Doch dann spürt sie immer wieder eine Blockade in sich. Es ist die Stimme ihrer Großmutter, die ihr sagt: „Als Mädchen musst du brav sein. Erfolg musst du den Männern überlassen. Du musst vor allem das tun, was andere nicht wollen. Du musst den andern dienen.“ Diese innere Stimme der Großmutter blockiert ihre Kraft und hindert sie daran, ihrer inneren Quelle zu trauen. Obwohl diese Frau in sich viel Energie spürt, fühlt sie sich oft blockiert und behindert. Die Energie kann nicht fließen. Die innere Stimme der Großmutter hemmt den Fluss ihrer Kraft. Das führt zu einem inneren Stau, den sie nur mit viel Kraft aufhalten kann. Anstatt ihre Kraft zum Fließen zu bringen, muss sie sie dazu verwenden, die Energie zu stoppen. Dann fühlt sie sich erschöpft und lustlos. Ihre ganze Kraft verbraucht sie bei der Anstrengung, den Staudamm zu errichten.

    Ein Mann erzählte, dass seine Mutter das Schöne nie genießen konnte. Wenn es schönes Wetter gab, meinte sie, es würde bald wieder schlechter. Wenn einem in der Familie etwas gelang, sagte sie, das hätte einen hohen Preis. Bald würden sie erfahren, womit sie das Glück bezahlen müssten. Diese pessimistische Sicht der Mutter hat natürlich auch ihren Sohn bei allem, was er tat, gebremst. Er konnte seine Erfolge nicht genießen. Voller Angst wartete auch er darauf,dass etwas schief laufen und irgendein Unglück passieren werde.

    Solche Lebensmuster, die von den Eltern übernommen werden, prägen sich tief ein. Und auch wenn wir sie rational durchschauen und ganz bewusst ablehnen, wirken sie doch tief in uns
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