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Quellcode

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Titel: Quellcode
Autoren: William Gibson
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Kreditkarten machten mehr Probleme, als dass es sich lohnte.
    Er musste sich heute eine Lupe besorgen und ein kleines UV-Licht. Einen Stift zum Geldscheine-Testen, wenn er einen auftreiben konnte. Die Scheine sahen alle gut aus, aber man konnte nie wissen. Er hatte schon zweimal Schilder gesehen, auf denen die Annahme von amerikanischen Hundertern verweigert wurde.
    Aber zuerst ein bisschen Lektüre über die Kryptoflagellanten aus Thüringen, beschloss er, setzte sich auf die in Handarbeit gefertigte Tagesdecke und öffnete seine Schnürsenkel.
    Sein Buch lag in der Nachttischschublade, zusammen mit dem Handy, dem U.S.-Government-Kugelschreiber, der Taschenlampe und dem Nagelknipser. Als Lesezeichen verwendete er ein Stück des Geldumschlags, die linke, obere Ecke, auf der in verblasster roter Schrift »HH« stand. Es schien irgendwie zu etwas zu gehören.
    Er dachte daran, wie er in der Nacht zuvor in den Bus gestiegen war, die Handtasche unter der Jacke an sich gedrückt. Wie geplant hatte er sich bereits im Princeton Kleingeld besorgt gehabt, sich über Busse und Fahrpreise informiert und das Geld genau passend bereit gehalten, in ihm fremden, merkwürdig glänzenden Münzen.
    Er hatte sich in der Mitte des Busses ans Fenster gesetzt, fast der einzige Fahrgast, während seine Hand so verstohlen, als erwarte sie einen Angriff, die Handtasche mit ihren anfänglich nicht viel versprechenden Fächern untersucht hatte.
    Aber anstatt des Buchs nahm er jetzt das Handy in die Hand. Als er es gefunden hatte, war es an gewesen und er hatte es sofort ausgeschaltet. Jetzt schaltete er es wieder ein. Eine New Yorker Nummer. Auf der Suche nach einem ausländischen Netz. Der Akku fast voll. Im Speicher fast nur New Yorker Nummern, alle nur mit Vornamen eingetragen. Der Klingelton war ausgestellt. Er stellte ihn auf Vibrieren, um sicherzugehen, dass das Ding funktionierte. Er wollte es gerade wieder abschal-ten, als es in seiner Hand zu vibrieren begann.
    Seine Hand klappte es auf und hielt es an sein Ohr.
    »Hallo?« hörte er jemanden sagen, einen Mann. »Hallo?«
    »Sie sind falsch verbunden«, sagte Milgrim auf Russisch.
    »Ich bin ganz sicher richtig verbunden«, sagte der Mann am anderen Ende, in einem brauchbaren Russisch, wenn auch mit Akzent. Ein Holländer vielleicht?
    »Nein«, sagte Milgrim, immer noch auf Russisch, »Sie sind falsch verbunden.«
    »Wo sind Sie?«
    »In Thüringen.« Er klappte das Telefon zu, klappte es sofort wieder auf und schaltete es ab.
    Seine Hand entschied sich für das zweite Rize des Morgens, was unter diesen Umständen durchaus verständlich war.
    Er legte das Handy zurück in die Schublade. Jetzt schien es ihm, als sei es doch nicht so gut gewesen, dass er es behalten hatte. Er würde es später los werden.
    Er schlug sein Buch auf und wollte sich wieder in die Geschichte von Markgraf Friedrich dem Furchtlosen, vertiefen, als er plötzlich den St. Marks Place vor sich sah. Er hatte im vergangenen Oktober mit Fish dort vor einem Plattenladen gestanden, einem, der echte Vinylschallplatten gebraucht verkaufte, und durch das Fenster hindurch hatte ihn von der Wand her das Gesicht einer Frau in Schwarzweiß angeblickt. Und während er sich in die Kissen sinken ließ, wusste er für einen winzigen Augenblick, wer das war und dass er sie auch von irgendwo anders kannte.
    Doch dann fing er an zu lesen.

84. THE MAN WHO SHOT WALT DISNEY
    »Gar nicht schlecht«, sagte Bobby und verschüttete einen Schluck von seinem zweiten Piso Mojado, als er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte, um durch Hollis' Helm zur Spitze von Bigends Hochhaus hinaufzublicken. »Der Maßstab stimmt.«
    Inchmale hatte einen außergewöhnlichen Effekt auf ihn gehabt, dachte Hollis. Sie hatte völlig richtig gelegen, dass Bobby Inchmale-Fan war, aber einen solch abrupten Abfall des Angst-levels hätte sie nicht für möglich gehalten. Es konnte natürlich auch damit zu tun haben, dass der Geld-Beschuss, wie sie es nannte, schon fünf Tage zurücklag und Garreth und der Alte vermutlich längst weit weg waren.
    Tito war immer noch hier, wie sie rein zufällig wusste, oder war es zumindest am Nachmittag noch gewesen. Sie hatte ihn in der Shopping Mall unter dem Four Seasons gesehen, in das sie nach Bigends Ankunft aus L.A. gezogen war. Er war mit einem Mann unterwegs, der sein älterer Bruder hätte sein können, mit glatten, schwarzen, in der Mitte gescheitelten Haaren, die ihm bis auf die Schultern hingen. Den Tüten nach zu
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