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Quellcode

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Titel: Quellcode
Autoren: William Gibson
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würde, was noch nie gestimmt hatte an ihr.
    Eine Viertelstunde später, nachdem sie ihr Bestes getan hatte mit all dem, was noch nie gestimmt hatte an ihr, fuhr sie in einem Philippe-Starck-Aufzug in die Lobby hinunter, mit dem festen Vorsatz, den Details darin möglichst wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Sie hatte einmal in einem Artikel über Starck gelesen, dass der Designer eine Austernfarm besitze, in der nur quadratische Austern gezüchtet werden, in speziell dafür angefertigten Stahlrahmen.
    Die Aufzugtüren gaben den Blick auf eine helle Holzfläche frei. Das platonische Ideal eines kleinen Orientteppichs wurde von der Decke aus daraufprojiziert: stilisierte Lichtschnörkel, die an etwas weniger stilisierte Schnörkel aus gefärbter Wolle erinnerten. Ursprünglich dazu da, um zu verhindern, dass Allah beleidigt wurde, wie ihr mal jemand gesagt hatte. Sie ging rasch über die Lichtreflexe hinweg auf den Eingang zu.
    Als sie eine der Türen aufdrückte, gegen das merkwürdig warme Wirbeln des Windes, sah ein Security-Mann des Mondrian mit militärisch scharfkantigem Haarschnitt zu ihr hin, Bluetooth hinterm Ohr. Er fragte sie etwas, aber eine jähe Fallwindbö verschluckte den Satz. »Nein«, sagte sie in der Annahme, er hätte gefragt, ob ihr Auto (das sie gar nicht besaß) vorgefahren werden solle oder ob sie ein Taxi brauche. Und da bemerkte sie auch ein Taxi, der Fahrer zurückgelehnt, wahrscheinlich schlief er und träumte von den Weiten Aserbaidschans. Sie ging daran vorbei und fühlte unerwartet unbändige Freude in sich aufsteigen, als der Wind so wild und unkontrolliert vom Records Tower her den Sunset Boulevard entlangbrauste wie der Turbinenstrahl eines Flugzeugs vor dem Abheben.
    Hollis meinte zu hören, dass ihr der Security-Mann etwas zurief, aber dann trafen ihre Adidas auf das ganz ungestylte Gehwegpflaster des Sunset Boulevards, abstrakter Pointilismus in schwarz gewordenem Kaugummi. Die riesige Offene-Türen-Illusion des Hoteleingangs lag jetzt hinter ihr, und im Gehen schloss sie den Reißverschluss ihrer Kapuzenjacke bis obenhin. Es zog sie weniger zum Standard als einfach nur fort.
    Die Luft war voll von den trockenen Partikeln der Palmenblätter, die die Atemwege reizten. Du bist verrückt, sagte sie sich. Aber im Moment war das völlig in Ordnung, obwohl das hier kein idealer Straßenabschnitt für eine Frau ohne Begleitung war. Für Fußgänger überhaupt, zu dieser Zeit am Morgen. Aber dieses Wetter, dieses außergewöhnliche L.A.-Klima, hatte offenbar ihren Sinn für Gefahren beiseitegefegt. Die Straße war genauso leer wie die Straße in Godzilla, bevor man den ersten Schritt des Monsters hört. Schwankende Palmen, bebende Luft und Hollis, jetzt unter einer schwarzen Kapuze, zielstrebig unterwegs. Zeitungsseiten und Werbezettel von Clubs flatterten ihr um die Knöchel. Ein Polizeiauto zischte vorbei in Richtung Tower Records. Der behäbige Fahrer, der in schlechter Haltung hinter dem Lenkrad saß, beachtete sie nicht. Das Motto der US-Polizei fiel ihr ein: To serve and protect. Der Wind sprang jählings um, blies ihre Kapuze nach hinten und zerzauste ihr Haar. Aber sie musste ohnehin zum Friseur.
    Odile Richard wartete in der weißen Hotelzufahrt unter dem Schriftzug The Standard – aus Gründen, die nur den Designern bekannt waren, stand er auf dem Kopf. Odile lebte noch nach Pariser Zeit und deswegen hatte Hollis sich zu einem Treffen in den frühen Morgenstunden bereit erklärt. Außerdem war es die ideale Tageszeit, um sich diese Art von Kunst anzusehen.
    Neben Odile stand ein junger Latino, kräftig gebaut, mit rasiertem Schädel und einem Retro-Pendleton-Hemd in Weinrot, die Ärmel über den Ellbogen abgeschnippelt. Das Hemd hing lose bis fast zu den Knien seiner Baggy-Pants hinunter. »Vote for Santa«, sagte er grinsend, als Hollis auf die beiden zuging, und hob eine silberfarbene Dose Tecate-Bier in die Höhe. Auf seinem Unterarm war der Länge nach etwas in äußerst kunstvollen altenglischen Lettern eintätowiert.
    »Wie bitte?«
    »A votre santé«, verbesserte Odile, die mit einem zerrupften Taschentuchknäuel an ihrer Nase herumtupfte. Odile war die uneleganteste Französin, die Hollis jemals getroffen hatte, allerdings auf so ultraspießige europäische Art und Weise, dass es schon fast wieder bewundernswert war. Sie trug ein schwarzes XXXL-Sweatshirt mit dem Namen eines längst vergessenen Start-up-Unternehmens, besonders hässliche nylonschimmernde, gerippte
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