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Titel: Quellcode
Autoren: William Gibson
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Gerät, befindet sich derzeit in einem Briefkasten der Canada Post an der Ecke Gore/ Keefer Street. Zur Bestreitung der zwischenzeitlich anfallenden Unkosten. Grüße, O. S.«. In dem Umschlag waren zweihundert kanadische Dollar in Fünf-, Zehn- und Zwanzig-Dollar-Scheinen, von einer hübschen Briefklammer zusammengehalten.
    Sie steckte das Geld in die Tasche und erforschte den Rest der Wohnung auf der Suche nach Odiles Zimmer. Sie fand es: Es war zwar doppelt so groß wie ihre Suite im Mondrian, hatte aber nicht das Azteken-Tempel-Ambiente. Odile schnarchte so laut, dass sie es nicht übers Herz brachte, sie aufzuwecken. Beim Hinausgehen fiel ihr der noch immer eingepackte Axtstiel auf dem Boden neben dem Bett auf.
    Auf der Straße war es noch sehr still. Sie blickte hinauf, aber das Gebäude war so hoch, dass man Bigends Penthouse von unten nicht sehen konnte. Die Grundfläche des Gebäudes war etwas kleiner als der Gesamtumfang, und die ersten paar Stockwerke über dem Erdgeschoss verbreiterten sich jeweils nach oben. In einem davon waren die schrägen, grünlichen Fensterfronten eines Fitnessstudios zu sehen, wo einheitlich schlanke Benutzerinnen in sportlichen Outfits an einheitlich weißen Maschinen trainierten. Wie der Ausschnitt aus einer Hugh-Ferris-Zeichnung von einer idealisierten Stadt der Zukunft, dachte sie, allerdings einer, auf die Hugh Ferris nie gekommen wäre. Die Fitnesshallen mit den Glaswänden und die freundlich weißen Nachfahren von Fabrikmaschinen waren dazu gekommen, dafür fehlten aber die hohen, geschwungenen Glasbrücken zwischen benachbarten Hochhaustürmen.
    Allerdings schien es hier keinerlei Taxis zu geben. Nach zehn Minuten sichtete sie endlich eines, ein gelber Toyota Prius, der für sie anhielt. Der Fahrer war ein ausnehmend höflicher Sikh.
    Warum, fragte sie sich, während er eine zeitsparendere Abwandlung ihrer Route gestern fuhr, waren Bigends Scrambler und vielleicht auch ihre Handtasche in einem Briefkasten? Irgendjemand musste sie da hineingesteckt haben, entweder der Dieb selbst oder jemand, der sie später gefunden hatte.
    Ohne den Berufsverkehr dauerte die Fahrt nicht lang. Sie fuhren bald den Clark Drive entlang, und da sah sie auch schon durch die Windschutzscheibe die orangefarbenen, konstruktivistischen Kranarme des Hafens, in anderer Anordnung jetzt und mit einer ganz anderen Bedeutung für sie, nach der letzten Nacht.
    Sie kamen an der Ecke vorbei, an der es zu Bobby abging. Ob er noch da war? Wie es ihm wohl gehen mochte? Sie verspürte Mitleid mit Alberto. Es tat ihr leid, dass er seinen River einge-büßt hatte.
    Sie überquerten eine große Kreuzung, hinter der sich der Clark Drive teilte. Dazwischen lag eine erhöhte Fahrbahnrampe, über der erleuchtete Schilder das Vorzeigen von Bildausweisen verlangten. Das musste die Zufahrt zum Hafen sein.
    Ihr Fahrer hielt vor einem an dieser Stelle merkwürdig verloren wirkenden, kleinen Schnellrestaurant aus weißen Zementblöcken. BEENIES CAFÉ BREAKFAST ALL DAY COFFEE war sehr laienhaft vor langer Zeit auf abblätterndes, weiß gestrichenes Sperrholz gepinselt worden. Es hatte eine Fliegengittertür mit einem roten Holzrahmen und wirkte dadurch ein wenig exotisch.
    Sie zahlte den Fahrer, gab ihm ein Trinkgeld und spähte durch das einzige Fenster. Das Lokal war sehr klein, nur zwei Tische und eine Theke mit Barhockern. Garreth saß auf einem Hocker dicht hinter der Scheibe und winkte ihr zu.
    Sie ging hinein.
    Garreth, der Alte und Tito saßen an der Bar. Von den vier Hockern war der zwischen Garreth und dem Alten leer. Sie setzte sich darauf.
    »Hallo«, sagte sie.
    »Guten Morgen, Miss Henry«, sagte der Alte und nickte ihr zu.
    Hinter ihm lehnte sich Tito vor und lächelte schüchtern.
    »Hallo, Tito«, sagte sie.
    »Du solltest die pochierten Eier nehmen«, sagte Garreth. »Außer du magst keine pochierten Eier.«
    »Pochiert ist okay.«
    »Und den Frühstücksspeck«, sagte der Alte. »Unglaublich.«
    »Wirklich?« Beenie's war das einfachste Speiselokal, das sie seit langer Zeit betreten hatte. Mal abgesehen von Mr. Sippee's . Aber das hatte keine Tische drinnen.
    »Der Koch hat früher auf der Queen Elizabeth gearbeitet«, sagte der Alte. »Der Ersten.«
    Hinten im selben Raum war ein sehr alter Mann zu sehen, dem Aussehen nach Chinese oder Malaie, der sich vor einem weiß emaillierten Gußeisenherd, der noch älter sein musste als er selbst, fast auf halbe Größe zusammengeklappt hatte. Das einzige bei
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