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Quarantaene

Quarantaene

Titel: Quarantaene
Autoren: authors_sort
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Überraschung beobachtete sie, wie ihr Vater Chris herzlich die Hand schüttelte und ihn ins Haus führte.
    Chuck Hauser hatte sich in den drei Jahren seit ihrem letzten Besuch kaum verändert. Er war einer jener Männer, die sich im mittleren Alter auf einem gewissen körperlichen Niveau einpendeln und anschließend, nur unwesentlich von der Zeit berührt, den Siebzigern entgegengleiten – noch immer also hatte er den graugesprenkelten Bart, den Stoppelhaarschnitt, das respektable Bäuchlein, trug noch immer die einfarbigen Baumwollhemden, denen er seit jeher den Vorzug gab, unabhängig von der gerade herrschenden Mode. Hatte die gleichen blauen Augen, trotz einer kürzlich erfolgten Augenlaser-OP.
    Er hatte eine Mahlzeit vorbereitet: Hackbraten, Erbsen, Mais und Kartoffelbrei, angerichtet auf dem großen Esszimmertisch, an dem (so teilte er Tess mit) Marguerite als Mädchen immer ihre Hausaufgaben gemacht hatte. Das war damals im Pfarrhaus in der Glendavid Avenue gewesen. Jeden Abend nach dem Essen hatte sie an Mathematikaufgaben getüftelt, auf einem Stuhl gleich neben einer großen Pseudo-Tiffanylampe, die, wie sie sich erinnerte, ein buttergelbes Licht warf, fast warm genug, dass man es schmecken konnte.
    Das Gespräch bei Tisch nahm keinerlei Bezug auf Crossbank, Blind Lake, Ray Scutter oder die globalen Ereignisse des vergangenen Jahres. Ihr Vater forderte Chris auf, ihn mit »Chuck« anzureden; er und Marguerite schwelgten ausgiebig in Erinnerungen, und als Tess unruhig zu werden begann, erlaubte er ihr, ihren Nachtisch ins Wohnzimmer zu tragen, wo sie das seltsam gerundete alte Videogerät einschaltete und nach Zeichentrickfilmen suchte.
    Er kehrte mit einer Kanne Kaffee und drei Bechern zum Tisch zurück. »Bis zu dem Tag im Februar, als ich den Anruf aus Provo erhielt, wusste ich nicht, ob du noch am Leben warst oder nicht.«
    Provo, Utah, war der Ort, wo man die Leute aus Blind Lake nach dem Ende der Abriegelung hingeschafft hatte – sechs weitere Monate medizinischer und psychologischer Quarantäne, ein Leben wie als Flüchtling, auf einer stillgelegten Basis der Kontinentalen Streitkräfte. Sechs Monate Warten darauf, für gesund erklärt zu werden, sich bescheinigen zu lassen, nicht kontaminiert zu sein, keine Bedrohung für die übrige Bevölkerung darzustellen. »Es muss schrecklich gewesen sein«, sagte Marguerite, »diese Ungewissheit.«
    »Für euch mehr als für mich, kann ich mir vorstellen. Ich hatte es im Gefühl, dass du durchkommst.«
    Draußen war der Himmel schon dunkel geworden. Chris trank seinen Kaffee aus und erklärte sich bereit, Tess Gesellschaft zu leisten. Marguerites Vater schaltete eine Stehlampe an, die einen hinter dem Tisch stehenden Bücherschrank aus Eichenholz beleuchtete. Als ein Kind, das sehr gern las, war Marguerite von diesen Regalen sowohl angezogen als auch abgestoßen worden: so viele reizvolle Lederbände, gelbbraun oder bernsteingelb, standen darin, die sich aber bei näherer Untersuchung durchweg als kirchenbezogene oder »der Inspiration dienende« Werke entpuppten. (Immerhin hatte sie sich die Geschichten für Kinder von Rudyard Kipling stibitzt.) Sie bemerkte einige Bücher, die in letzter Zeit hinzugekommen waren – Astronomie- und Kosmologie-Titel, überwiegend in den letzten paar Jahren erschienen. Sogar Sebastian Vogels Gott-und-Wissenschaft-Türstopper befand sich darunter.
    Er rückte seinen Stuhl neben den von Marguerite. »Wie wird Tess mit dem Tod ihres Vaters fertig?«
    »Eigentlich ganz gut, wenn man die Umstände bedenkt und die Tatsache, dass sie gerade erst zwölf geworden ist. Sie beharrt immer noch darauf, dass er vielleicht gar nicht tot ist.«
    »Er ist im Innern des Seesterns verschwunden.«
    Bei der Erwähnung dieser populären Bezeichnung für das O/BEK-erzeugte Gebilde zuckte Marguerite zusammen. Wie im Fall der »Hummer« war es ein höchst unpassender Name. Warum musste man alles Fremde mit Dingen vergleichen, die an den Strand gespült werden? »Viele Leute sind auf gleiche Weise verschwunden.«
    »Wie diese sogenannten Pilger in Crossbank. Aber sie kommen nicht wieder zurück.«
    »Nein«, sagte Marguerite. »Sie kommen nicht wieder zurück.«
    »Weiß Tess das?«
    »Ja.«
    Das und vielleicht noch mehr.
    »Es gab Zeiten«, sagte Chuck Hauser, »da habe ich diesen Mann verabscheut dafür, wie er dich behandelt hat. Als du dich von ihm hast scheiden lassen, war das für mich eine größere Erleichterung, als ich je zu erkennen
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