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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten
Autoren: Philipp Vandenberg
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verneigen; dann verschwand er in Richtung des flachen Gebäudes.
    Auf dem Weg zu seinem Wagen machte Brodka sich weniger Gedanken über die Aussage des Fremden, den er für einen Spinner hielt, als über das Blumenmeer auf dem Grab seiner Mutter. Wer in aller Welt hatte zur Beerdigung gut und gerne eine Lastwagenladung Blumengestecke und Gebinde geschickt? Solange Brodka zurückdenken konnte, hatte seine Mutter allein gelebt. Gewiß, er hatte sie in den letzten Jahren kaum noch zu Gesicht bekommen, aber der Gedanke, daß sie eine Schar von Verehrern gehabt haben könnte, war so absurd, daß Brodka ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.
    Die nächsten Tage waren mit Behördengängen und dem Begleichen von Rechnungen ausgefüllt. Brodka blieb es nicht erspart, die Wohnung seiner Mutter in der Prinzregentenstraße aufzulösen – eine Aufgabe, die ihm tiefes Unbehagen bereitete. Er fühlte sich irgendwie als Eindringling, als er hinauf in den ersten Stock stieg, nachdem der Hausmeister ihm mit mißtrauischem Blick die Schlüssel ausgehändigt hatte.
    Brodka haßte alte Treppenhäuser wie dieses: Jugendstil, blaue Fliesen, roter Kokosläufer. Alles wirkte irgendwie beklemmend.
    Das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter war in den letzten zehn Jahren eher gespannt als harmonisch gewesen, und in dieser Zeit hatte er die Wohnung nur ein einziges Mal betreten. Jedenfalls hatte das Gespräch, das damals stattfand, Brodka dazu bewogen, seine Mutter nie mehr zu besuchen.
    Er hielt einen Augenblick inne – wie jeder, dem ein schwerer Gang bevorsteht –, dann öffnete er die Wohnungstür.
    Auf dem Fußboden des Flurraumes lag Post, die man durch den Briefkastenschlitz in der Tür eingeworfen hatte. Brodka suchte den Lichtschalter. Eine runde Deckenleuchte aus gefrostetem bläulichem Glas, gewiß sehr alt und kostbar, doch für seinen Geschmack ebenso scheußlich, verbreitete fahles Licht. Es roch nach Mottenkugeln und altem Vorhangstoff. Ein Geruch, den Brodka nicht ausstehen konnte. Am liebsten wäre er wieder umgekehrt.
    Als er die Post vom Boden aufhob, fiel sein Blick auf die gegenüberliegende Tür. Sie war nur angelehnt, und ihm war, als könne er unter dem Türspalt den warmen Schein einer Lampe erkennen.
    »Ist da jemand?« rief er und lauschte.
    Nichts.
    Brodka stieß vorsichtig die Tür auf, wobei er angespannt und ein bißchen ängstlich nach der Lichtquelle suchte.
    Auf einem runden, niedrigen Tisch neben einem bequemen Sofa an der rechten Wand des Zimmers brannte eine kleine Lampe.
    »Ist da jemand?« rief Brodka noch einmal. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er an die Fenster und zog die Rolläden hoch.
    Neben der Couch führte eine Tür ins Schlafzimmer. Brodka öffnete sie vorsichtig und machte Licht. Er hatte nicht erwartet, ein aufgeräumtes Zimmer vorzufinden, doch der Anblick, der sich ihm bot, jagte ihm einen Schauder über den Rücken. Das Bett war zerwühlt. Über den Boden verstreut lagen Kleidungsstücke und Medikamentenschachteln.
    Brodka stürzte zum Fenster, riß beide Flügel weit auf und holte tief Luft. Von der Straße drang Verkehrslärm herauf, und die Dämmerung senkte sich über die Stadt. Angewidert verließ Brodka den Raum.
    In der Tür zum Wohnzimmer blieb er stehen. Als er den Blick über die Einrichtung schweifen ließ, wurde ihm klar, wie weit er sich von seiner Mutter entfernt hatte.
    Der quadratische Raum war vollgestopft mit antikem Mobiliar, jedes Stück eine Kostbarkeit für sich, doch angesichts dieser Anhäufung wirkte das Zimmer eher wie eine Abstellkammer. Die linke, der Fensterfront zugewandte Ecke, wurde von einem hohen Regal eingenommen, das bis unter die Decke reichte. Davor stand über Eck ein Biedermeier-Sekretär aus Kirschholz, mit schwarzen Halbsäulen verziert. Zwischen den Fenstern sah Brodka eine Vitrine mit alten Gläsern; da sie breiter war als das Wandstück zwischen den Fensteröffnungen, ragten die Ecken der Vitrine darüber hinaus.
    An der Wand gegenüber der Tür hing ein riesiges italienisches Barockgemälde: die nackte Göttin Diana auf einem von Schwänen gezogenen Wagen. Darunter ein Biedermeier-Sofa mit rosa und blaugrünen Streifen, das einzige Möbelstück, das Brodkas Gefallen fand. Links davon ein kleiner Tisch mit der brennenden Lampe, rechts eine zierliche Truhe, darauf eine Vase mit vertrockneten Rosen, davor ein großer runder Tisch und zwei Ohrensessel.
    Zwischen der Tür, die zum Flur führte und einer weiteren, hinter der sich ein
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