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Purgatorio

Purgatorio

Titel: Purgatorio
Autoren: Tomás Eloy Martínez
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sagen? Niemand stellte Dr.Dupuys Integrität in Frage. Selbst General Perón hatte ihn noch auf dem Totenbett gelobt: »Lest Dupuy«, hatte er gesagt. »Keiner hat meine Amtshandlungen so treffend interpretiert wie er. Und nicht nur die meinen – er ist der beste Interpret sämtlicher Regierungen gewesen.«
    Seit 1955 publizierte ihr Vater eine Zeitschrift für den privaten Umlauf, die von einflussreichen Menschen verschlungen wurde:
La República.
Jedes Wort war von vertrauenswürdiger Quelle diktiert und diente als Kompass, um sich vor Abwertungen des Pesos zu schützen und die Anzeichen der unbezähmbaren Inflation frühzeitig wahrzunehmen. »Wenn man sich nach
La República
richtet, ergeben sich nur gute Geschäfte«, bestätigten die lachsfarbenen Seiten ausländischer Blätter. Die Zeitschrift kündigte nicht nur Militärputsche im Voraus an, sie war auch der Wind, der sie antrieb. Dr.Dupuy verfasste sämtliche Bekanntmachungen, die Demokratie mit Dekadenz identifizierten und das nationale Wesen verherrlichten. Er erklärte nie, ob dieses Wesen wechselte oder immer dasselbe blieb, noch woraus es bestand. Die Regierungen folgten einander, und das nationale Wesen ging von einer Hand in die nächste über, ohne sich zu verändern.
    In dem großen alten Haus in der Calle Arenales, wo Emilia geboren wurde, war der Vater eine ehrfurchtgebietende Figur, die selten mit ihr oder ihrer Schwester Chela sprach. Er strich ihnen übers Haar, erkundigte sich nach der Schule, und wenn sie krank waren, schaute er manchmal in ihr Zimmer herein, um sich mit den Ärzten zu unterhalten. Vor ihm wirkte sogar die Mutter noch wie ein kleines Mädchen.
    Ende März 1976 zeichnete Emilia eben eine Karte des San-Rafael-Gletschers, als sie im Radio hörte, die Militärjunta habe beschlossen, das Land umzukrempeln, die Wirtschaft zu reformieren und natürlich das nationale Wesen zu schützen. Sie kündigte einen unerbittlichen Krieg gegen das subversive Verbrechen und diejenigen an, die ihre Mitarbeit verweigerten. Argentinien sollte homogen sein. Für Andersdenkende, Gleichgültige und Abweichler gab es keinen Platz.
    Drei Tage vor der bereits so genannten »Revolution« legte Emilia dem Vater abends die Liste ihrer Hochzeitsgäste auf den Schreibtisch; er bat sie, den Papierkorb in den Ofen zu entleeren und alles zu Asche zu verbrennen. Am Boden des Korbes blieb ein Blatt mit handgeschriebenen Notizen haften, und als Emilia es löste, las sie die ersten Zeilen: »Was bliebe von Argentinien ohne Schwert und Kreuz? Wer wollte es auf sich nehmen, in die Geschichte einzugehen, weil er das nationale Wesen eines dieser beiden Pfeiler beraubte?« Als sie mit dem Papierkorb zurückkam, gab ihm Emilia das vor dem Feuer gerettete Blatt.
    Vergiss, was du gesehen hast, tadelte sie der Doktor, ohne aufzublicken.
    Das mit dem nationalen Wesen hat mir gefallen.
    Gefallen? Red nicht so leichtfertig daher. Das ist ernst, dramatisch. Das nationale Wesen ist in Gefahr, und nur die Waffen können es retten. Dieses Land ist katholisch und militärisch. Es ist westlich, und es ist weiß. Wenn du das
und
vergisst, verstehst du nichts – er machte eine verächtliche Handbewegung. Aber du verstehst sowieso nichts. Denk lieber über deine Pflichten als Gattin nach.
    Emilia und Simón heirateten am 24 . April, einen Monat nach dem Putsch, in der Kirche Nuestra Señora del Carmen. In Erwartung eines Attentats wurde der Zeitpunkt der Zeremonie zweimal verschoben. Statt durch die Vorhalle betrat sie die Kirche am Arm des Vaters von der Sakristei neben dem Altar aus. In den Betstühlen der ersten Reihe saßen Simóns beide Schwestern, die an diesem Morgen aus Gálvez gekommen waren und tief ausgeschnittene, mit purpurroten Pailletten besetzte Kleider, hochhackige Schuhe und breitkrempige rosa Hüte trugen. Sie bewegten den Kopf wie Rebhühner, stolz auf ihren ausladenden Busen. Vor dem Bekreuzigen feuchteten sie Zeigefinger und Daumen mit der Zunge an und rezitierten lauter als der Geistliche
Amen, amen.
    Als sie nach der Zeremonie zu ihm traten, um ihn zu küssen, sagte er, er sei glücklich und sie sollten ihn nicht allein lassen. Sie mochten aber den Bus nicht verpassen und entflohen, Schuhe und Hüte in der Hand. Auch Emilia und Simón blieben nicht allzu lange auf dem kleinen intimen Fest der Dupuys. Sie hatten ihnen eine Wohnung in Palermo zur Verfügung gestellt, deren Balkone zum Wald hinausgingen. Das Kaminfeuer brannte, und auf dem Plattenspieler lagen
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