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Puppenmord

Titel: Puppenmord
Autoren: Tom Sharpe
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und wenn man ihn zu Lebenslänglich verurteilte, höbe das Bewußtsein seiner Unschuld das ihm angetane ungeheure Unrecht auf. Zum allerersten Mal in seinem Leben hatte Wilt das Gefühl, frei zu sein. Es war, als sei er von der Erbsünde erlöst, Henry Wilt zu sein, wohnhaft in Ipford, Parkview Avenue Nr. 34, Lehrer der Allgemeinbil-düng an der Berufsschule für Geisteswissenschaften und Gewerbekunde von Fenland, Gatte von Eva Wilt und Vater von niemandem. All die Belastungen von Besitz und Gewohnheiten, von Verdienst und Ansehen, all die gesellschaftlichen Anpassungen, die feinen Nuancen in der Einschätzung von sich selbst und anderen, die Eva und er sich zugelegt hatten, all das war weg. In seine Zelle gesperrt, war Wilt frei, er selbst zu sein. Und ganz egal, was geschähe, nie wieder gäbe er den Sirenenrufen der Selbstverleugnung nach. Nach Inspektor Flints schmählicher Verachtung und dem schamlosen Her-umgebrülle, nach den Beleidigungen und Beschimpfungen, mit denen er eine Woche lang überschüttet worden war, wer hatte da noch Anerkennung nötig? Ihre Meinung über ihn könnten sie sich hinter den Spiegel stecken. Wilt würde seinen eigenen Weg fortsetzen und seine offenbare Gabe, inkonsequent zu sein, nutzbringend anwenden. Man gebe ihm Lebenslänglich und einen fortschrittlichen Gefängnisdirektor, und Wilt triebe den Mann mit seiner Art, sich mit liebenswürdiger Verständigkeit den Gefängnisvorschriften zu widersetzen, innerhalb von einem Monat zum Wahnsinn. Einzelhaft und die Verurteilung zu Wasser und Brot, wenn's solche Strafen noch gab, schreckten ihn nicht. Man gebe ihm seine Freiheit, und er setzte seine neuerworbenen Talente an der Berufsschule ein. Mit Freuden säße er in Komitees und Ausschüssen und brächte die Leute damit, daß er unermüdlich genau das Gegenteil der allgemeinen Meinung verträte, einander in die Haare. Das Rennen sei im Grunde noch nicht auf vollen Touren, sondern von vorn bis hinten unkalkulierbar, und das Leben sei zufällig, gesetzlos und verworren. Regeln seien dazu da, verletzt zu werden, und der Mann mit dem Hoppepf erdgemüt sei allen anderen einen Hopser voraus. Als er diese neue Regel aufgestellt hatte, drehte sich Wilt auf die Seite und versuchte einzuschlafen, aber der Schlaf wollte nicht kommen. Er versuchte es auf der anderen Seite - mit dem gleichen Erfolg. Gedanken, Fragen, beziehungslose Antworten und imaginäre Zwiegespräche gingen ihm im Kopf herum. Er versuchte, Schäfchen zu zählen, und entdeckte, daß er stattdessen an Eva dachte. An die liebe Eva, die verfluchte Eva, die überschwengliche Eva und an Eva, die unbändig Begeisterte. Wie er hatte sie das Absolute gesucht, die ewige Wahrheit, die ihr die Mühe ersparen würde, je wieder selber denken zu müssen. Sie hatte sie beim Töpfern gesucht, in der Transzendentalen Meditation, im Judo, auf Trampolins und am unpassendsten von allem im orientalischen Tempeltanz. Schließlich hatte sie sie in der sexuellen Befreiung, in der Frauenemanzipation und im Mysterium des Orgasmus zu finden versucht, wo sie sich für immer zu verlieren drohte, was sie, wenn er sich's recht überlegte, offenbar auch getan hatte. Und die verfluchten Pringsheims hatte sie gleich mitgenommen. Na, sie hätte auf jeden Fall einiges zu erklären, wenn und falls sie jemals wiederkäme. Wilt lächelte beim Gedanken daran, was sie wohl sagen würde, wenn sie merkte, wohin ihr neuestes Techtelmechtel mit dem Unendlichen geführt hatte. Er würde dafür sorgen, daß sie Anlaß hätte, es bis zum letzten Stündlein zu bereuen.
    Auf dem Fußboden im Wohnzimmer des Pfarrhauses rang Eva Wilt mit der immer stärker werdenden Überzeugung, ihr letztes Stündlein sei schon längst aus und vorbei. Wirklich jeder, mit dem sie in Berührung kam, schien zu denken, sie sei tot. Der Polizist, mit dem sie am Telefon gesprochen hatte, wollte ihrer Erklärung, sie lebe und es gehe ihr zumindest relativ gut, offenbar keinen Glauben schenken und hatte auf die allerbefremdlichste Art Beweise ihrer Identität verlangt. Eva hatte sich nach dem Telefonat völlig deprimiert verkrochen, ihr Vertrauen darein, daß sie wirklich noch am Leben sei, hatte ernstlich einen Knacks bekommen, was aber ihr Elend erst richtig voll machte, war die Reaktion von Hochwürden St. John Froude auf ihr Erscheinen in seinem Haus. Seine inbrünstigen Bitten an den Allmächtigen, die Seele unserer lieben Verstorbenen, einer gewissen Eva Wilt, Gott hab sie selig, von ihrer
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