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Puppenmord

Titel: Puppenmord
Autoren: Tom Sharpe
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einstmals untadeligen Rufes einen Prozeß anstrengte. Und schließlich hatte er einen offensichtlich unschuldigen Menschen eine Woche lang zur Vernehmung festgehalten, und zweifellos würde man ihn für die Verzögerung und die zusätzlichen Kosten beim Bau des neuen Verwaltungsblocks der Berufsschule verantwortlich machen. Es gab höchstwahrscheinlich noch andere schreckliche Konsequenzen zu bedenken, aber die reichten ja erst mal, um sie zu verdauen. Und er hatte niemanden, dem er die Schuld daran geben konnte, außer sich selber. Oder Wilt. Er sah ihn boshaft an.
    Wilt lächelte. »Ich weiß, was Sie gerade denken«, sagte er.
    »Bestimmt nicht«, sagte der Inspektor, »Sie haben keinen blassen Schimmer.«
    »Daß wir alle Sklaven der Verhältnisse sind, daß nichts so ist, wie es aussieht, daß es mehr Dinge im Himmel und auf Erden gibt, als . . .«
    »Darum werden wir uns kümmern«, sagte der Inspektor.
    Wilt stand auf. »Ich nehme an, Sie brauchen mich nicht mehr«, sagte er. »Ich werde mal langsam heimwärts traben.«
    »Das werden Sie hübsch bleibenlassen. Sie kommen mit, Mrs. Wilt abholen.«
    Sie gingen auf den Hof raus und stiegen in einen Polizeiwagen. Als sie durch die Randbezirke, an den Tankstellen und Fabriken vorbei und aus der Stadt hinaus über das ebene Land fuhren, wurde Wilt auf seinem Rücksitz immer kleiner und er spürte, wie das Freiheitsgefühl, das ihn auf dem Polizeirevier erhoben hatte, sich in Luft auflöste. Und mit jeder Meile schrumpfte es weiter, und die rauhe Wirklichkeit des Rechts des Stärkeren, der Notwendigkeit, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, der Langeweile und der endlosen kleinkarierten Rangeleien mit Eva, der Bridgeabend mit Mottrams am Sonnabend und der Spazierfahrten mit Eva am Sonntag erhob wieder ihr Haupt. Und Inspektor Flint, der neben ihm in düsterem Schweigen brütete, verlor seine Symbolkraft. Er war nicht mehr der Kraftquell von Wilts Selbstvertrauen, der Gegenpol zu seiner Unberechenbarkeit, Flint war vielmehr zu einem Leidensgefährten im täglichen Kampf ums Dasein geworden, beinahe ein Spiegelbild von Wilts Bedeutungslosigkeit. Und da vorn, weiter auf dem Weg durch diese flache, kahle Landschaft mit ihrer schwarzen Erde und dem Himmel mit den dicken, weißen Wolken darüber, da waren Eva und ein ganzes Leben versuchter Rechtfertigungen und Gegenbeschuldigungen. Einen Moment lang überlegte Wilt, ob er nicht »Haltet den Wagen an, ich will aussteigen« schreien solle, aber dieser Moment ging vorüber. Was auch die Zukunft für ihn bereithielt, er würde lernen, damit zu leben. Er hatte das Widersprüchliche im Wesen der Freiheit nicht erfahren, nur um der Fron von Parkview Avenue, Berufsschule und Eva mit ihren banalen Ekstasen von neuem zu erliegen. Er war Wilt, der Mann mit dem Hoppepferdchengemüt.
    Eva war betrunken. Hochwürden St. John Froudes unwillkürliche Reaktion auf ihre gräßliche Beichte war gewesen, vom Whisky auf den hundertfünzigprozentigen polnischen Fusel umzusteigen, den er für besondere Notfälle aufgehoben hatte, und Eva, die einmal von heftiger Reue geplagt wurde, um gleich darauf wieder die sagenhaftesten Sünden aus sich herauszusprudeln, hatte sich mit dem Zeug die Nase begossen. Angeregt durch dessen Wirkung, durch die versteinerte Nächstenliebe im Lächeln des Pfarrers und die wachsende Überzeugung, daß, falls sie tot sei, das ewige Leben eine sichtlich totale Zerknirschung verlange, wogegen, falls sie's nicht sei, es ihr die Peinlichkeit erspare, erklären zu müssen, was sie eigentlich nackt im Haus von jemand Fremdem täte, beichtete Eva ihre Sünden mit einer Inbrunst, die ihren tiefsten Bedürfnissen entsprach. Genau das hatte sie im Judo, im Töpfern und im orientalischen Tempeltanz gesucht, diese hemmungslose Sühne ihrer Schuld. Sie beichtete Sünden, die sie begangen hatte, und Sünden, die sie nicht begangen hatte, Sünden, die ihr in den Sinn kamen, und Sünden, die sie vergessen hatte. Sie habe Henry betrogen, sie habe gewollt, er sei tot, ihr habe der Sinn nach anderen Männern gestanden, sie sei eine Ehebrecherin, sie sei eine Lesbierin, sie sei eine Nymphomanin. Und diese Fleischessünden waren mit Unterlassungssünden vermischt. Eva ließ nichts aus. Henrys kalte Abendessen, seine einsamen Spaziergänge mit dem Hund, ihr Undank für alles, was er für sie getan hatte, ihr Versagen, ihm eine gute Ehefrau zu sein, ihr Komplex mit dem Harpic... alles strömte aus ihr heraus. Hochwürden St. John Froude
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