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Pulverturm

Pulverturm

Titel: Pulverturm
Autoren: Jakob Maria Soedher
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saßen mit einer heulenden Yulia Kavan im Vernehmungszimmer und brachten nicht das Geringste aus hier heraus. Einige Zimmer weiter versuchten Lydia, Funk und Kimmel mit der heulenden und schreienden Nadja zurande zu kommen.
    Kimmel gab als Erster auf. Gommert war verschwunden, und Funk wie Lydia Naber waren nach dem langen Tag nicht mehr in der nervlichen Verfassung, das länger durchzuhalten. Nach einigen Diskussionen einigte man sich darauf, Mutter und Tochter nicht in einer Zelle übernachten zu lassen. Alle trugen das Risiko, und Yulia Kavan durfte mit ihrer Tochter in einem Hotelzimmer die Nacht verbringen. Keiner hatte aber ein gutes Gefühl dabei.
    Was Schielin anging, so ließ er sich wenig von Tränen beeinflussen. Es war aber so, dass die von Yulia Kavan vergossenen die einer tiefen, echten Verzweiflung waren, wobei ihm nicht deutlich wurde, was der Grund für diese Verzweiflung war. Die Tatsache, dass sie nun bei der Polizei saß oder die Nachricht vom Tode Ottmar Kinkers.
    Dann war da noch die Beerdigung, die ihm zu schaffen machte. Auch der kurze Abstecher zur Weide und die stumme Zwiesprache mit Ronsard halfen ihm nicht aus den zwiespältigen Gefühlen. Und das machte das Dilemma der Ermittlungen deutlich. Sie hatten keine eindeutigen objektiven Beweise, sondern befanden sich im Sumpf menschlicher Beziehungen und Emotionen. Keine gute Grundlage für Ermittlungen in einem Mordfall. Irgendwo musste doch eine objektive Spur zu finden sein.
    Schielin trottete zurück zum Haus, aß freudlos, wurde mit keinen Problemen belästigt. Laura und Lena waren zu Hause, so konnte man wenigstens in dieser Hinsicht beruhigt zu Bett gehen. Er verzog sich in sein Arbeitszimmer, stöberte im CD-Regal und legte schließlich Christina Pluhars All’ Improvviso auf. Er ließ die CD zweimal durchlaufen und legte sich dann hin. Schlafen konnte er nicht. Marja auch nicht.

    Es war noch dämmrig, als er aufstand. Wirre Träume hatten ihn im Halbschlaf gehalten. Er duschte lange und wanderte wieder zur Weide. Ein Anruf unterrichtete ihn davon, dass Yulia Kavan mit ihrer Tochter im Hotel beim Frühstück saß. Einige Zeit später kam Walther Lurzer mit seinen Enkeln.
    Mit großer Verwunderung registrierte Schielin, wie reizend seine beiden Töchter mit dem Besuch umgingen. Selbst Marja sah ihn einige Mal verwundert an. Das steckte also auch in den beiden. Sie nahmen die Kleinen mit zur Weide, so hatte er Zeit, bei einem Kaffee das Aktenpaket zu inspizieren, das der eigentliche Grund für Walther Lurzers Besuch war.
    »Was sagst du dazu?«, fragte der, als Schielin nach einiger Zeit aufsah und die Akte vorsichtig auf den Tisch legte.
    »Eigenartig.«
    »Deswegen bin ich gekommen«, sagte Lurzer.
    »So auf den ersten Blick würde ich sagen, die Spurenlage spricht eine andere Sprache als Pawliceks Geständnis.«
    »Genau das. Aber es hat niemanden interessiert, weil man jemanden hatte, der ein Geständnis abgelegt hatte. Und dessen Profil passte auch noch. Sohn einer Hure, massakriert den Stiefvater, der das Schwesterchen betatscht.«
    »Du hast dich schon intensiver mit der Sache befasst. Wie lautet deine Meinung.«
    Walther Lurzer stellte die Kaffeetasse ab. »Ich gehe davon aus, dass Pawlicek seinen Stiefvater nicht getötet hat. Ich denke vielmehr, dass es seine Schwester war. Die Spuren im Gang hat ja niemand beachtet. Pawlicek hat den Tatort so hergerichtet, wie er es für richtig hielt, und ein willkommenes Geständnis abgelegt. Seien wir doch ehrlich. Ist doch eine feine Sache. Ein geklärter Mord, ein Geständiger, kurze Gerichtsverhandlung, wenig Aufwand, sogar die Presse freut sich. Ich bin der festen Überzeugung, dass er für seine Schwester, die er wirklich sehr geliebt haben muss, ins Gefängnis gegangen ist.«
    »Sie hat sich später das Leben genommen, oder?«
    »Ja. Sie hat Suizid begangen. Als Pawlicek aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat er in dem Milieu begonnen, in dem er groß geworden ist. Von einer Freundin seiner Mutter hat er dieses Etablissement … sozusagen geerbt … und einen Nobelschuppen draus gemacht. Und weißt du, was sein wichtigstes Kapital bei der Sache war?«
    Schielin sah Lurzer fragend an. »Sein Ruf. In der Szene hieß er Zinken-Josi, und alle hatten Respekt vor einem, der seinem Stiefvater eine Viertel Mistgabel in den Leib rammt. Niemand im Milieu hat sich ernsthaft mit ihm angelegt. In den Akten sind auch nur ein paar unbedeutende Kleinigkeiten. Körperverletzung und so. Es ging aber
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