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Puls

Puls

Titel: Puls
Autoren: Stephen King
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Schatten dort drüben ließen Schlimmes ahnen. Sehr Schlimmes.
    Der Mister-Softee-Kerl, nach hinten blind, beugte sich aus seinem Ausgabefenster und starrte Clay an. »Was geht dort drüben vor?«
    »Keine Ahnung. Ein paar Unfälle. Leute verletzt. Helfen Sie mir, Mann.« Er kniete sich neben Power Suit Woman in das Blut und die zersplitterten Überreste von Pixie Lights minzegrünem Handy. Das Zucken der Frau im Poweranzug war jetzt allerdings sehr schwach geworden.
    »Von der Newbury kommt Rauch«, stellte der Mister-Softee-Kerl fest, der die relative Sicherheit seines Eiswagens noch immer nicht verließ. »Dort drüben ist was explodiert. Was echt Großes, mein ich. Vielleicht sind's Terroristen.«
    Sobald er das Wort ausgesprochen hatte, war Clay sich sicher, dass er Recht hatte. »Helfen Sie mir.«
    »WER BIN ICH?«, kreischte Pixie Dark plötzlich.
    Clay hatte sie völlig vergessen. Er blickte rechtzeitig auf, um zu sehen, wie das Mädchen sich mit der flachen Hand an die Stirn klatschte und sich dann schnell dreimal um die eigene Achse drehte, wobei sie fast auf den Spitzen ihrer Tennisschuhe stand. Dieser Anblick erinnerte ihn an ein Gedicht, das er auf dem College in Literaturwissenschaft gelesen hatte: Schlingt dreifach einen Kreis um dies! Coleridge, oder? Sie taumelte, dann rannte sie den Gehsteig entlang, direkt gegen einen Laternenmast. Sie machte keinen Versuch, ihm auszuweichen oder auch nur schützend die Hände zu heben. Sie klatschte mit dem Gesicht dagegen, prallte zurück, torkelte, rannte wieder dagegen an.
    »Aufhören!«, brüllte Clay. Er schoss hoch, wollte zu ihr rennen, rutschte im Blut von Power Suit Woman aus, wäre beinahe gestürzt, rappelte sich wieder auf, stolperte über Pixie Light und wäre wieder fast hingeknallt.
    Pixie Dark sah sich nach ihm um. Aus ihrer gebrochenen Nase strömte ein Blutschwall über die untere Gesichtshälfte. Eine senkrechte Prellung auf ihrer Stirn begann anzuschwellen, stieg wie eine Gewitterwolke an einem Sommertag hoch. Eines ihrer Augen saß schief in der Höhle. Sie öffnete den Mund, ließ die Ruinen von vermutlich sehr teurer kieferorthopädischer Arbeit sehen und lachte ihn an. Er würde den Anblick nie vergessen.
    Dann rannte sie kreischend den Gehsteig entlang davon.
    Hinter ihm sprang ein Motor an, dann begannen elektronisch verstärkte Glöckchen die frühere Erkennungsmelodie von Sesamstraße zu klimpern. Clay warf sich herum und sah den Mister-Softee-Wagen rasch vom Bordstein wegfahren, als im obersten Stock des Hotels gegenüber eine Fensterscheibe in einer Kaskade aus glitzerndem Glas zersprang. Ein Körper schnellte in den hellen Oktobertag hinaus. Er schlug auf dem Gehsteig auf, wo er mehr oder weniger explodierte. Weitere Schreie vom Vorplatz. Angstschreie; Schmerzensschreie.
    »Nein!«, brüllte Clay, der neben dem Eiswagen einherrannte. »Nein, kommen Sie zurück und helfen Sie mir! Ich brauche hier Hilfe, Sie Scheißkerl!«
    Keine Antwort vom Mister-Softee-Kerl, der ihn vielleicht wegen der verstärkten Musik nicht hören konnte. Clay erinnerte sich an den Text aus den Tagen, als er noch keinen Grund zur Annahme gehabt hatte, seine Ehe werde nicht ewig halten. Damals hatte Johnny sich jeden Tag die Sesamstraße angesehen, hatte auf seinem kleinen blauen Stuhl gehockt und mit beiden Händen seinen Trinkbecher umklammert. Irgendwas von einem sonnigen Tag, der die Wolken vertreibt.
    Ein Mann in einem Geschäftsanzug kam aus dem Park gerannt und röhrte mit voller Lungenkraft wortlose Schreie, während seine Jackenschöße hinter ihm herwehten. Clay erkannte ihn an seinem Kinnbärtchen aus Hundefell. Der Mann stürmte auf die Boyl-ston Street hinaus. Die Autos wichen ihm aus, verfehlten ihn nur knapp. Er rannte auf die andere Seite hinüber und brüllte dabei weiter und fuchtelte mit erhobenen Händen. Als er in den Schatten der Markise über dem Vorplatz des Four Seasons verschwand, kam er außer Sicht, aber er musste sofort wieder etwas angestellt haben, jedenfalls brach dort drüben sofort eine neue Kreischsalve los.
    Clay gab die Verfolgung des Mister-Softee-Wagens auf und blieb mit einem Fuß auf dem Gehsteig und dem anderen im Rinnstein stehen, während er beobachtete, wie das Gefährt weiter bimmelnd einen Schlenker auf die Mittelspur der Boylston Street machte. Er wollte eben zu dem bewusstlosen Mädchen und der sterbenden Frau zurückgehen, als ein weiteres Duck Boat erschien; dieses rollte jedoch nicht gemächlich dahin, sondern
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