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Puls

Puls

Titel: Puls
Autoren: Stephen King
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irgendjemand. Clay sah sich abermals um, redete sich wieder ein, das müsse ein Freudenschrei gewesen sein. Drei Uhr nachmittags, ein sonniger Nachmittag auf dem Boston Common, das musste eigentlich ein Freudenschrei sein. Oder?
    Die Frau sagte irgendetwas Unverständliches zu Maddy und klappte ihr Handy mit einer geübten Handbewegung zu. Sie ließ es wieder in ihre Umhängetasche fallen, dann stand sie einfach da, als hätte sie vergessen, was sie hier tat, oder sogar, wo sie war.
    »Macht vier fünfzig«, sagte der Mister-Softee-Kerl, der ihr weiter geduldig den Eisbecher hinhielt. Clay hatte noch Zeit zu denken, wie beschissen teuer in der Stadt alles war. Vielleicht fand die Frau im Poweranzug das auch, jedenfalls tat sie - wenigstens nahm er das zuerst an - noch einen Augenblick länger nichts, sondern betrachtete nur den Becher mit dem Berg aus Eiscreme und der herablaufenden Soße, als hätte sie dergleichen noch nie gesehen.
    Dann kam ein weiterer Schrei vom Stadtpark herüber, diesmal kein menschlicher Laut, sondern etwas zwischen einem überraschten Jaulen und einem schmerzlichen Heulen. Clay drehte sich danach um und sah den Hund, der mit der Frisbeescheibe vorbei-getrottet war. Es war ein ziemlich großer brauner Hund, vielleicht ein Neufundländer, er kannte sich eigentlich nicht mit Hunden aus, wenn er einen zeichnen musste, holte er sich ein Buch und zeichnete einen ab. Ein Mann in einem Geschäftsanzug kniete neben dem Hund, hatte ihn in den Schwitzkasten genommen und schien - bestimmt sehe ich nicht, was ich zu sehen glaube, dachte Clay - an seinem Ohr herumzukauen. Dann jaulte der Hund wieder auf und versuchte sich loszureißen. Der Mann im Geschäftsanzug hielt ihn eisern fest, und ja, der Mann hatte das Hundeohr im Mund, und während Clay ihn weiter beobachtete, riss der Mann es vom Kopf des Hundes ab. Diesmal stieß der Hund einen fast menschlichen Schrei aus, und einige Enten, die auf einem nahe gelegenen Teich geschwommen hatten, flogen laut quakend auf.
    »Räst!«, rief jemand hinter Clay. Zumindest klang es wie Räst. Es hätte auch »Rest« oder »Rost« sein können, aber im Licht späterer Erfahrungen tendierte er zu Räst: kein richtiges Wort, sondern bloß ein unverständlicher aggressiver Laut.
    Er drehte sich gerade rechtzeitig nach dem Eiswagen um, um zu sehen, wie Power Suit Woman ins Ausgabefenster hechtete, um den Mister-Softee-Kerl zu fassen zu bekommen. Sie schaffte es, die losen Falten an der Vorderseite seines weißen Kittels zu packen, aber ein einzelner erschrockener Schritt rückwärts genügte, damit er sich aus ihrem Griff losreißen konnte. Ihre hohen Absätze verließen kurz den Gehsteig, und er hörte das Rascheln von Stoff und das Klicken von Knöpfen, als die Vorderseite ihres Jacketts erst über den Rand der kleinen Theke hinauf und dann wieder nach unten ratterte. Der Eisbecher purzelte außer Sicht. Clay sah eine Schmiere aus Eiscreme und Soße auf dem linkem Handgelenk und Unterarm von Power Suit Woman, als ihre hohen Absätze wieder auf den Gehsteig klackten. Sie taumelte mit leicht gebeugten Knien. Ihr verschlossener, wohlerzogener, für die Öffentlichkeit bestimmter Gesichtsausdruck - den Clay für einen grundsätzlichen Auf-der-Straße-keine-Miene-verziehen-Look hielt - war durch ein krampfartiges Zähnefletschen ersetzt worden, das ihre Augen zu Schlitzen verkleinerte und beide Zahnreihen freilegte. Ihre Oberlippe war völlig nach außen gestülpt und ließ eine samtartige rosa Auskleidung sehen, so intim wie eine Scheide. Ihr Pudel lief auf die Straße und schleppte dabei seine rote Leine mit der Handschlaufe am Ende hinter sich her. Eine schwarze Limousine überfuhr den Pudel, bevor er halb drüben war. Eben noch Flausch; im nächsten Augenblick Brei.
    Wahrscheinlich hat der arme Köter schon im Hundehimmel gekläfft, bevor er gewusst hat, dass er tot ist, dachte Clay. Er begriff auf irgendeine distanzierte Weise, dass er unter Schock stand, was aber an der Intensität seiner Verwunderung gar nichts änderte. Er stand einfach nur mit seiner Künstlermappe in der einen Hand und seiner braunen Tragetasche in der anderen mit herabhängender Kinnlade da.
    Irgendwo - vielleicht um die nächste Ecke auf der Newbury Street - explodierte irgendetwas.
    Die beiden Mädchen hatten zwar genau dieselbe Frisur über ihren iPod-Kopfhörern, aber die mit dem minzegrünen Handy war blond, während ihre Freundin brünett war; sie waren sozusagen Pixie Light und Pixie
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