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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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sagen.
    Das Konzert nervte mich von Anfang an; ich war vorher kaum in Berührung gekommen mit diesen anderen Evangelikalen, die mit den Armen wedeln und immerfort weinen und so (in unserer Gruppe hielten wir es gern »nüchtern«). Hier war ich von ihnen umgeben. Das Mädchen vor mir übersetzte die Worte jedes Lieds in Gebärdensprache, war aber gar nicht taub. Es war entsetzlich.
    Verm hatte mir am Telefon den Infozettel vorgelesen, den er bekommen hatte. Nach der ersten Zugabe sollten wir uns in die »Evangelisationszone« begeben und dort warten. Also ging ich und setzte mich auf den Boden.
    Kurz darauf kamen sie auch schon herein, die Suchenden. Ich habe keine Ahnung, was mit denen los war, die ich abbekam. Vielleicht wollten sie nur aufs Klo und waren dann von dem Auflauf mitgerissen worden. Sie waren ungefähr so alt wie ich und trugen braune Kapuzenpullis; ihre Münder standen weit offen, ihre Augen waren leer. Ich fragte sie, was zu fragen war: Was sie von dem Gehörten hielten. Ob sie auf irgendwas von dem, worüber Petra gesprochen hatten, neugierig geworden waren. (Zwischen den Liedern hatte es jede Menge Ansprachen gegeben.)
    Ich schaffte es nicht, sie zum Reden zu bringen. Sie starrten mich an, als warteten sie darauf, dass ich sie ohrfeigte.
    Mein Einfallstor. Entweder waren sie vollkommen überwältigt oder hatten irgendeinen geistigen Schaden. So oder so: Christus forderte jetzt von mir, Zeugnis abzulegen.
    Die Sätze wollten nicht kommen. Ich ging in Gedanken die Dogmen durch, auf der Suche nach einem, das ich nicht eigentlich für Schwachsinn hielt, stieß aber auf keines.
    Die logische Folge wäre lähmendes Schweigen gewesen, aber mit einer merkwürdigen Entschlossenheit trieb ich das Ganze dem Ende entgegen. Ich fragte sie, ob sie lieber gehen woll
ten – eine rein rhetorische Frage –, und erklärte, mir sei ebenfalls danach. Wir gingen gemeinsam.
    Einige Abende darauf nahm ich Mole und Verm zur Seite und sagte ihnen, dass meine Zweifel mich überwältigt hätten. Dass ich, wenn ich weiter zu den Treffen käme, nur so tun würde als ob. Was sie genauso beleidigen würde wie Gott und die ganze Gruppe. Verm umarmte mich schweigend. Mole sagte, er respektiere meine Gründe, und dass ich meine Zweifel erforschen müsse, bevor ich wieder festen Schritts voranschreiten könne. Er sagte, er würde für mich beten. Sollte er keine radikale Persönlichkeitsveränderung durchgemacht haben, betet er noch heute.
     
    Statistisch gesehen war mein kleiner Anfall von Evangelikalismus wahrscheinlich nicht weiter bemerkenswert. Weiße Amerikaner meiner sozio-ökonomischen Herkunft (mittlere bis obere Mittelschicht) erleben solche Phasen als Teenager recht häufig, und bevor sie zwanzig sind, ist es bei den meisten wieder vorbei. Viele der Jugendlichen beim Creation Festival fielen in diese Kategorie. Ob sie wohl Darwin kannten? Sie würden von ihm erfahren. Seit ich mit der Uni fertig bin, lerne ich mindestens einmal pro Jahr jemanden kennen, der an der Highschool auch eine »Jesus-Phase« hatte. Was immer einen wunderbaren Lacher wert ist. Allerdings sollte jede Phase irgendwann vorbei sein oder zumindest in eine andere Phase übergehen – und sich nicht einfach nur in eine fortgesetzte Beschäftigung verlängern.
    Gesegnet sind die, die von Sekten einer Gehirnwäsche unterzogen und hinterher zum Entprogrammieren geschickt werden. Das macht es einfacher: Man lässt einfach alles hinter sich. Meine Gruppe war aber keine Sekte. Es gab keinen Druck, keine Strafen, nur Überzeugungsarbeit. Einer von denen, die ich zur Gruppe holte – wir nannten ihn Goog –, ist immer noch ein enger Freund von mir. Er leitet heute Bibelkreise und Ver
sammlungen und verbringt einen Teil des Jahres damit, in Kambodscha unentgeltlich Zahnbehandlungen durchzuführen. Nie hat er mich gefragt, wann ich zurückkommen würde.
    Mein Problem ist nicht, dass ich davon träume, in der Hölle zu landen oder dass Mole mir am Fenster erscheint. Ich fühle mich auch nicht seelisch verletzt. Ich fühle mich noch nicht mal wie ein Depp, weil ich mal daran geglaubt habe. Nein, mein Problem ist, dass ich Jesus Christus liebe.
    Dessen Schuhe ich nicht wert bin aufzuschnüren.
    Er war ein absolut großartiger Typ. Vergessen Sie die Paulusbriefe und die ganze Schikane, die später kam. Sehen Sie sich nur an, was Er gesagt hat. Lesen Sie die Jefferson-Bibel. Oder noch besser: Lesen Sie The Logia of Yeshua von Guy Davenport und Benjamin Urrutia,
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