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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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Freund, während der sich in einem verwundbaren Trance-Zustand befand. Ritter flüsterte mir zu, dass man Darius ein Musikstipendium an einem College in West Virginia angeboten habe; ein Professor hörte ihn auf dem Campus auf einem Klavier herumklimpern, als er dort einen Freund besuchte, und bot ihm auf der Stelle ein Vollstipendium an. Ritter konnte nicht wirklich erklären, warum Darius abgelehnt hatte. »Er ist so was wie unser Rain Man«, sagte er.
    Irgendwann muss ich meine Laterne genommen und den Abhang hinuntergekrochen sein, denn am nächsten Morgen fand ich mich aufrecht sitzend und vollständig angezogen in meinem Wohnmobil wieder. Aufgeweckt hatte mich ein barbarisches Raunen, das an ein Heer kurz vor dem Sturmangriff erinnerte. Der frühe Morgen stand im Zeichen von Praise and Worship, einer neuen Ausprägung von Christenrock, bei der Band und Publikum gemeinsam, so laut es geht, direkt zu Gott singen. Ziemlich intensive Angelegenheit.
    Die Jungs hatten mir gesagt, dass sie den Großteil des Tages vor der Hauptbühne verbringen und sich Bands anhören wollten. Ich dagegen hatte mir ja schon eine Band angehört. Meine Pflicht bestand darin, in meinem Mobil zu bleiben und Eindrücke aufzuschreiben.
    Allerdings war es ganz schön heiß. Und je heißer es wurde, desto mehr Plastikdämpfe entstiegen der hellbraunen Auslegeware. Leicht benebelt stolperte ich aus der seitlichen Luke und machte mich auf, um Darius, Ritter und Bub zu suchen.
    Im Licht des Tages wurde offenbar, dass hier ziemlich avancierte Freaks am Start waren: ein Typ mit Rock und Spitzenärmeln; ein komisches, kleines, androgynes Wesen, das in einer Papprüstung steckte und ein Schwert mit sich herumschlepp
te. Sie wussten wahrscheinlich, dass sie an einem sicheren Ort waren.
    Vor einem Getränkestand ließen die Jungs mich in der Schlange stehen; sie wollten Skillet nicht verpassen, eine von Ritters Lieblingsbands. Ich bekam mein Getränk und ließ mich langsam dorthin treiben, wo sie vermutlich standen. Mangelhafte Ernährung, Ungewaschenheit und ein drohender Sonnenstich verschworen sich gegen mich. Außerdem roch es leicht nach Scheiße. Überall waren glühend heiße Klokabinen, die mit jeder Öffnung der Türen ihren Pesthauch verströmten.
    Ich stand auf einem Fleckchen Kies zwischen den Fressbuden und der Zuschauermenge, kaute an meinem Strohhalm und stocherte tetraplegisch nach widerspenstigen Schmelzwassereinschlüssen. Obwohl ich mich weit weg von der Bühne befand, konnte ich ganz gut sehen. Irgendetwas begann mit mir zu geschehen. Die Band war mittleren Alters. Ihre Mitglieder trugen blusenartige Hemden und halbherzige Mittachtzigerjahre-Stadionrock-Moves zur Schau.
    Was war das für ein . . . Gefühl? Zwischen jeder Zeile grinste der Sänger, als ob er, wenn er damit aufhören würde, sofort zusammenbräche. Viel verstehen konnte ich nicht:
     
    »There's a higher place to go (beyond belief, beyond belief),
    Where we reach the next plateau (beyond belief, beyond belief).«
     
    Der Strohhalm rutschte mir aus dem Mund. »Ach du Scheiße, das sind ja Petra.«
     
    Es war 1988. Der Typ, der mich mitgebracht hatte, nannte sich Verm. (Ich habe die Namen geändert; diese Menschen haben es nicht verdient, zwangsweise mit mir auf Erinnerungsreise zu gehen.) Er war ein kleiner, gutaussehender Typ mit schwarzem Pferdeschwanz und teuflischem Lachen, ein Skater und
Ex-Kiffer, der deswegen ein Jahr oder so, bevor wir uns kennenlernten, zu Hause rausgeflogen war. Seine Eltern gehörten einer nicht konfessionsgebundenen Religionsgemeinschaft in Ohio an, wo ich zur Highschool ging. Es war eher eine Bewegung als eine Kirche, mit damals schon Tausenden von Mitgliedern. Meines Wissens ist sie seitdem noch größer geworden. Die »Zentralversammlung« fand aus Platzgründen immer in einer leerstehenden Lagerhalle statt, aber passiert ist es bei den kleineren Treffen: bei der »Heimatgemeinde« (ungefähr fünfzig Leute) und im »Hauskreis« (vielleicht ein Dutzend). Verms Dad hatte zu ihm gesagt: Wenn du einmal die Woche mitkommst, kannst du wieder einziehen.
    Verm wurde erlöst. Und da er ein schlaues Köpfchen war und der unvoreingenommenste, jovialste Typ, der mir je untergekommen ist (er war legendär dafür, dass er sich immer, wenn eine neue ausländische Schülerin auf unsere Schule kam, in den Mittagspausen von ihr Sprachstunden erteilen ließ, bis er ihre Sprache beherrschte), und da er außerdem aus seinen Drogen-Zeiten massenhaft
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