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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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Christenrock. Jede erfolgreiche säkulare Schrottband hat ihren christlichen Ableger, was nur folgerichtig ist, denn kulturkritisch gesprochen fungiert eine Christenrockband nicht als Alternative zur säkularen Band oder als eine Verbesserung derselben, sondern als ihr christliches Double. Und darin ist das Genre wunderbar erfolgreich. Wenn Sie diese Musik für ultimativ grottenschlecht halten, dann sind Ihre Prioritäten eben nicht die Prioritäten dieser Musik. Möglicherweise wollen Sie etwas cooles Neues hören. Diese Musik aber braucht etwas, von dem bereits erwiesen ist, dass es gut ankommt, und das wird dann in den Dienst der Lobpreisung des Herrn Jesus Christus gestellt. Das ist Christenrock. Eine christliche Band dagegen ist einfach nur eine Band, die aus mehr als einem Christen besteht. U2, gleichermaßen von Gläubigen und Ungläubigen verehrt, sind das Musterbeispiel, aber es gab über die Jahre auch andere Bands, von denen die Leute sagten: »Weißt du eigentlich, dass die Christen sind? Klingt schräg, ich weiß. Trotzdem, sie sind scheißgut.« The Call zum Beispiel oder Lone Justice. Zurzeit hört man dasselbe immer mal wieder über Indie-Acts wie Pedro the Lion und Damien Jurado (und andere, die ich nicht kenne). In den allermeisten Fällen geben sich solche Bands sehr, sehr viel Mühe,
nicht zur Sparte »Christenrock« gezählt zu werden. Was vor allem davon abhängt, wie man sich verkauft: Man erzähle im Interview nicht, man sei »wiedergeboren«, sondern lediglich, der Glaube sei ein wichtiger Bestandteil des eigenen Lebens. Und an dieser Stelle – ich werde nicht länger so tun, als sei ich nicht vorurteilsbehaftet – kommt das schwerwiegende Problem der tatsächlichen Begabung ins Spiel. Denn die Frage, ein neunzehnjähriger Hardcore-Christ, der feststellt, dass er oder sie erstklassige Songs schreiben kann (jemand wie Damien Jurado), auch nicht im Ansatz etwas mit Christenrock zu schaffen haben will, muss man stellen. Talent tendiert dazu, mit einem gewissen Mindestniveau an Raffinesse einherzugehen. Und ob man es glaubt oder nicht: Das Establishment des Christenrock äußert hin und wieder so etwas wie resignierte Zustimmung, dass sich Bands wie U2 oder Switchfoot (die beim Creation Festival spielten, als ich da war, und gerade mit »Meant to Live« einen Riesenhit im säkularen Radio hatten, deren Management es aber untersagte, dass Fotos von ihrem Auftritt gemacht wurden) diskret darum bemühen, klar auf Abstand zu jedem unambitionierten Jesus-Fantum zu gehen, denn nur so können sie in Verbindung zur Welt treten. (Sie wissen, dass damit wir, die Säkularen, gemeint sind, oder? Wir gehören in ihren Augen »zur Welt«.) Es ist also möglich und sogar wahrscheinlich, dass Christenrock als musikalisches Genre immun ist gegen Qualität. Womit es das einzige derartige Genre wäre, das mir einfällt.
     
    Es war spät, und die Juden hatten Zwietracht gesät. Was Bub erzählt hatte, stimmte: Es gab Juden beim Creation Festival. Wie sich herausstellte, waren es »Juden für Jesus«, genauer gesagt, zwei aufsehenerregend hübsche Highschool-Mädchen aus Richmond. Als Bub, Ritter und ich vom Jars-of-Clay-Auftritt zurückkamen, saßen sie mit am Lagerfeuer – eine der beiden hielt Händchen mit Pee Wee. Pee Wee war jünger als die
anderen, schlank und hübsch, und er sah die Mädchen bewundernd an, sobald sie den Mund aufmachten. Irgendwann sagten sie zu Ritter, dass er wegen seiner Tattoos (er hatte zwei) in die Hölle käme; daran glaubten die Leute in ihrer Organisation. Allzu gut nahm Ritter diese Nachricht nicht auf. Er war sich seines Platzes im Kreise der Erwählten relativ sicher. Es gab eine Auseinandersetzung; Pee Wee wurde genötigt, die Mädchen zurück zu ihren Zelten zu geleiten, während Darius versuchte, Ritter zu beruhigen. »Sie haben komische Ansichten«, sagte er, »aber wir beten zum selben Gott.«
    Das Feuer war auf glühende Kohlen heruntergebrannt. Wir Männer waren jetzt unter uns, saßen auf Kühlboxen und betrieben spätnächtlich-schwermütige Hermeneutik. Bub begriff Gottes Sinneswandel nicht. Wie konnte Er im Alten Testament diesen ganzen Irrsinn vom Stapel lassen, dass man keine Tattoos haben oder seinen Onkel nicht nackt sehen durfte, nur um dann im Neuen Testament alles wieder zurückzunehmen?
    »Vielleicht solltest du es so betrachten«, meinte ich. »Wenn Darius wegen irgendwas stocksauer auf dich ist, einen richtigen Hals hat, du dann aber irgendwas tust, um
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