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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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Gefängnis gewesen; mindestens einmal saß er richtig lange, nachdem er in Ohio einem Mann ein Messer in die Brust gerammt hatte. (Der Mann wollte nicht aufhören, auf Darius' Großvater »draufzuhauen«.) Darius hatte zu der Zeit eine Menge einstecken müssen. (»Dein Vater ist ein Knasti!«) Deshalb sei er heute auch so reizbar. »Heftige Kindheit«, meinte ich.
    »Nicht wirklich«, entgegnete Darius. »Andere Leute haben weder Hände noch Füße.« Er sprach davon, wie sehr er seinen Vater liebte. »Von ganzem Herzen – er ist der Beste. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Und überhaupt«, fügte er hinzu, »habe ich die ganze Wut und so an Gott weitergegeben. Er hat sie mir abgenommen.«
    Gott in Seiner Weisheit hatte ihm ein Auskommen verschafft. In den früheren Abendstunden hatten die Jungs Pee Wee ein bisschen aufgemischt und ihn mit Zurrgurten an einen Baum gefesselt. Andere Christen müssen dem Sicherheitspersonal von seinen Schreien berichtet haben, denn ein Typ in einer orangefarbenen Weste war den Hügel hinaufgestürmt gekommen. Pee Wee war nicht allzu viel passiert, aber zum Spaß brach er in Tränen aus. »Ständig machen sie mich so fertig«, heulte er. »Retten Sie mich, Mister!«
    Das fand der Typ nicht so lustig. »Wegen denen solltest du dir keine Sorgen machen«, sagte er. »Sondern wegen mir.«
    Was für ein dummer Spruch! Darius schoss vor wie eine schrecklich flinke Eidechse in einer Tiersendung im Fernsehen. »Passen Sie auf, Mann«, sagte er. »Sie wissen ja nicht, wen Sie vor sich haben. Einen Typen, der schießt, bevor er Ihnen die Hand schüttelt.«
    Der Mann schien zurückzuweichen, ohne sich zu bewegen. »Sie dürfen keine Waffen tragen«, sagte er.
    »Ach ja?«, kam es von Darius. »Dort drüben im Handschuhfach liegt eine Erlaubnis, versteckt Waffen zu tragen. Ich komme aus West Virginia, Mister, ich kenne das Gesetz.«
    »Ich glaube, Sie lügen«, sagte der Typ. Seine Stimme klang mittlerweile etwas zittrig.
    Darius beugte sich vor, als habe er nicht ganz verstanden. Seine Augen traten aus den Höhlen. »Und woher wollen Sie das wissen?«, fragte er. »Sind Sie ein Prophet?«
    »Ich arbeite für das Festival!«, sagte der Typ.
    Jake stand auf – bislang hatte er sich das Ganze von seinem
Sitzplatz am Feuer aus angesehen. Das höfliche Lächeln, das er sich ins Gesicht gemeißelt hatte, war von einem heimtückischen Grinsen nicht zu unterscheiden.
    »So«, sagte er. »Und warum arbeiten Sie dann nicht? Ich bin mir sicher, woanders gibt es jede Menge zu tun.«
    Zugegeben, die gelegentliche Aufsässigkeit der Jungs aus West Virginia scheint im Widerspruch zu dem zu stehen, was ich vorher behauptet habe, von wegen »kein einziges im Zorn gesprochenes Wort« und so weiter. Aber es war spielerisch. Zumindest Darius zog für mich ein bisschen eine Show ab. Und wenn man bedenkt, wovor die Jungs zu Hause die ganze Zeit über auf der Hut sein mussten, dann ist es doch bemerkenswert, wie erfolgreich sie beim Festival ihre Instinkte unter Kontrolle hatten.
    Wie auch immer: Von nun an hatten wir mehr oder weniger Carte blanche. Was sehr laute Live-Musik zwischen zwei und drei Uhr morgens mit einschloss. Die Jungs ließen ihre fette Anlage über die Batterie von Jakes Truck laufen. Ritter und Darius spielten zu Hause selbst in einer Band, First Verse. Sie waren verantwortlich für die Musik in ihrer Kirche. Ritter hatte eine engelsgleiche Tenorstimme, die aus einem anderen Körper als dem seinen zu kommen schien. Und Josh war ein guter Gitarrenspieler; er hatte eine Les Paul und ein Effektboard dabei. Die akustische Gitarre ging reihum. Ich musste tief in meinem Fundus kramen, bis mir ein paar christliche Stücke einfielen. Ich spielte »Jesus« von Lou Reed, was sie so weit okay fanden. Richtig gut gefiel ihnen Bob Marleys »Redemption Song«. Als ich fertig war, sagte Bub: »Mann, das ist wirklich christlich. Wirklich wahr.« Darius wollte, dass ich ihm das Stück beibrachte; er sagte, er würde es mit nach Hause nehmen und im Gottesdienst spielen.
    Dann sprang er auf und lief zu seinem E-Piano, das drei Meter weiter auf einem Ständer stand. Mit geschlossenen Augen begann er zu spielen. Ich spiele gut genug Klavier, um zu wis
sen, wie es sich anhört, wenn jemand die Technik beherrscht. Und Darius spielte sehr, sehr gut. Er improvisierte eine Stunde lang. Irgendwann stand Bub auf und stellte sich neben ihn, Gesicht zu uns, die Hände in den Taschen, so, als beschütze er seinen
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