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Proust 1913

Proust 1913

Titel: Proust 1913
Autoren: Luzius Keller
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Fasquelle ein gutes Wort für ihn eingelegt hat. Madame Straus rät ihm zu etwas Billigerem, und Anfang 1913 entscheidet er sich dann für das Zigarettenetui, das er bei Tiffany herstellen lässt.
    Tiffany in Paris, Rue de la paix 23 , um 1910
    Am 14 . Januar überreicht Proust das Geschenk und teilt dies noch am selben Abend Madame Straus brieflich mit: »Ich habe für ihn bei Tiffany ein Zigarettenetui in schwarzem Moiré mit einem Monogramm aus Brillanten machen lassen. Es ist äußerst einfach, sehr hübsch und kostet etwas weniger als 400  Francs. Ich hatte etwas aus Achat gefunden, das mir besser gefiel. Doch das kostete 800  Francs, und die Erinnerung an Ihre Ratschläge sowie der Instinkt des Geizes haben mich davon abgebracht.« ( XII , 26 – 27 ) 400  Francs entsprechen 1300  Euro. In Briefen an Reynaldo Hahn ( 1 . Februar 1913 ) und an Madame Straus ( 12 . Februar 1913 ) erzählt er die Übergabe als komische Szene: »Ich weiß nicht mehr«, schreibt er an Madame Straus, »ob ich Ihnen je von dem Zigarettenetui für Calmette erzählt habe (das übrigens etwas weniger als die von Ihnen vorgeschlagenen 400  Francs gekostet hat).
Er hat mir nie dafür gedankt,
so weiß ich nicht einmal, ob er es je gesehen hat! Am Vorabend des
Congrès
(dem letzten Tag, an dem ich ausgegangen bin) habe ich es ihm gebracht, eingepackt, er machte eine ausweichende Geste, und ich legte es auf seinen Schreibtisch. Ich sagte ihm, es sei etwas ganz Geringes, das ich kaum wage usw. Das sagte ich nur, weil ich dachte, er würde feststellen, dass es im Gegenteil sehr wertvoll ist und dass so zu meiner Großzügigkeit die Vornehmheit hinzukäme, es gering zu schätzen. Er sagte: ›Ich hoffe, Poincarré werde gewählt.‹ Ich antwortete: ›Umso schlimmer‹ und betrachtete mein Päckchen. Sein Blick folgte meinem, doch als er auf das Päckchen stieß, wurde er von einer gleichsam zentrifugalen Kraft abgelenkt und wendete sich anderswohin. Dann sagte er: ›Möglicherweise wird Deschanel gewählt.‹ […] als ich sah, dass er weder auf Fasquelle noch auf das Zigarettenetui zu sprechen kam, stand ich auf und verabschiedete mich, überzeugt, ich würde tags darauf einen Brief erhalten: ›Lieber Freund, das ist ja ein ganz köstliches Bijou.‹ Einen solchen Brief habe ich aber weder tags darauf noch je einmal später erhalten!« ( XII , 68 ) Trotzdem wird genau acht Monate nach der Übergabeszene
Du côté de chez Swann
mit der Widmung erscheinen: »À M. Gaston Calmette. Comme un témoignage de profonde et affectueuse reconnaissance«.
    Hätte Calmette etwas besser darauf geachtet, was seine Besucher so alles in sein Büro mitbrachten, hätte er den Revolver von Madame Caillaux vielleicht früh genug bemerkt, um sich noch in Sicherheit zu bringen. Madame Caillaux suchte Calmette am 16 . März 1914 in seinem Büro auf, und aus Rache für die Pressekampagne von
Le Figaro
gegen ihren Herrn Gemahl, den Finanzminister Joseph Cailloux, erschoss sie ihn kurzerhand.
    Proust vor dem Sankt-Anna-Portal von Notre-Dame
    In Briefen vom 14 . Januar an Madame Straus und vom 30 . Januar an Louis de Robert äußert Proust den dringenden Wunsch, sich zu dem Sankt-Anna-Portal von Notre-Dame zu begeben, und de Robert gesteht er weitere Wünsche: »Seit einem Jahr wünsche ich mir nur zwei Dinge […], Impressionisten zu sehen und die späten Beethoven-Quartette zu hören; es war mir unmöglich, es zu tun. In fünfzehn Jahren konnte ich den Louvre nur zwei Mal besuchen. Doch glücklicherweise hat mir die wohltätige Natur etwas mitgegeben, was wertvoller ist als die Gesundheit, nämlich die Illusion. In dem Augenblick, da ich Ihnen schreibe, kann ich nicht glauben, dass ich morgen nicht imstande sein werde, das Sankt-Anna-Portal von Notre-Dame de Paris zu besuchen, was jetzt gerade mein großer Wunsch ist. Und wenn ich es morgen nicht kann, werde ich überzeugt sein, dass es nur um einen Tag verschoben ist.« ( XII , 43 ) Tatsächlich kann er. Am 31 . Januar berichtet er Reynaldo Hahn, Maurice Rostand habe ihm einen reizenden Brief geschrieben und ihn treffen wollen. »Doch Dein lieber Bininuls [Marcel Proust] hat passiven Widerstand geleistet. Und mit einem Pelzmantel über dem Nachthemd ging er in die Sainte-Chapelle und verbrachte zwei Stunden vor dem Sankt-Anna-Portal von Notre-Dame.« ( XII , 45 )
    Man lasse sich weder durch die rötliche Farbe der Portaltore (Farbtafel V) noch durch Prousts Nachthemd in die Irre leiten. »Le Portail
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