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Propaganda

Propaganda

Titel: Propaganda
Autoren: Edward Bernays
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des Positivismus des 19. Jahrhunderts (und indirekt basierend auf der Arbeit seines Onkels Sigmund Freud) ist dieses rationalistische Konzept der propagandistischen Macht keine Erfindung von Bernays. Das coole, männliche Image war in den 20er-Jahren weit verbreitet und hielt sich bis zum Ende des kalten Kriegs – zusammen mit seiner Kehrseite, der Masse, die in ihrer aufopfernden Reaktivität mit einer tradierten Vorstellung von Weiblichkeit korreliert.
    Warum ist dieses Bild der wissenschaftlichen Beherrschung so stark? Weil für selbstbewusste Profis wie Bernays die Unabhängigkeit als Experte ein starkes Verkaufsargument war. Für potenzielle Kunden war es eine unausgesprochene Garantie, dass der Propagandist nicht nur seinen Instinkten vertraute oder auf Stimmungen reagierte, sondern – wie ein Arzt oder ein Anwalt – unabhängig und wenn nötig unbarmherzig handelte. Von ihm konnte man erwarten, dass er andere nervös machte, ohne selbst nervös zu werden. Der Mythos vom unabhängigen Manipulator und der folgsamen Masse hielt sich weit über die 20er-Jahre hinweg. »Bei Demagogen sind Überzeugungen Schwächen«, schrieb der Sozialpsychologe Frederick E. Venn 1928. »Sie sind das letzte Gebrechen ansonsten glänzender Demagogen .« 1 1 Das Bild des emotionslosen Emotionalisierers wurde von vielen großen Agitatoren in der Geschichte mit Leben erfüllt. Hitler gerierte sich auf dem Podium gerne als neutraler Gutachter seiner eigenen Wahntaten. Göbbels glaubte von sich, innerlich völlig kalt zu sein, auch dann, wenn seine Reden den Massen einheizten.
    Die Behauptung, der Propagandist stehe über dem Tumult, den er kreiert, lässt sich nicht belegen. Wenn man erfahren will, wie Demagogen und andere Propagandisten vorgehen, ist es hilfreich zu wissen, was sich innerlich in ihnen abspielt. Ausgehend von dem, was wir heute über die berühmtesten Demagogen der Geschichte wissen, verrät die erfolgreiche Anstiftung der Massen – oder vielmehr scheint sie dies sogar vorauszusetzen – einen hitzigen Kern mit einer radikalen Überzeugung. Hitler, Göbbels, Mussolini, Father Coughlin, Joe McCarthy, Gerald L.K. Smith waren Fanatiker und Zyniker in einer Person, weder total unter Kontrolle noch völlig ekstatisch. Agitatoren operieren in einem mentalen Grenzland zwischen Überzeugung und Berechnung. Diese innere Grauzone scheint die Grundlage für die rätselhafte manipulatorische Macht zu sein, die sich mit einem einfachen dualistischen Schema nicht verstehen lässt.
    Natürlich gibt es signifikante Unterschiede zwischen Hitler, Coughlin und McCarthy, die selbst auf der Bühne am Mikrofon standen, und solchen Propagandisten, die nicht auf der Stelle wilde Reaktionen hervorrufen wollen. Noch hinter dem wildesten propagandistischen Redner sind zahllose namenlose Stellvertreter und Mitarbeiter notwendig, um sich um die genaue Vorbereitung der Auftritte und die Nachbereitung zu kümmern. Und natürlich gibt es auch Tausende von Propagandisten, deren Aufgabe es überhaupt nicht ist, Menschen in Rage zu bringen. Anzeigengestalter, Rechercheure, Kreativdirektoren, Texter, Art Direktoren, Fotografen – sie alle arbeiten mit an der Erzeugung von Massenreaktionen, die meistens nicht explosiv und unmittelbar, sondern auf Kettenreaktionen ausgelegt sind, die individuell eingesetzt werden und bei Halbbewusstsein ihre Wirkung entfalten.
    Dieses Buch ist der Beweis dafür, dass der PR-Experte selbst auch einen bestimmten Eindruck von sich erzeugen will, obwohl im Herzen dieser methodisch vorgehenden Manipulierer ja eigentlich kein Anflug eines Gefühls sein sollte. Ihre Arbeit ist geschäftsmäßig, bodenständig und rational.
    Und dennoch sind auch sie in Gefahr, den Bezug zur Realität zu verlieren, denn in ihrer Welt ist Wahrheit letztlich definiert durch das, was der Kunde will. Für welche Sache sie sich auch immer stark machen oder welche Waren sie verkaufen, erfolgreiche Propagandisten müssen daran glauben – oder zumindest zeitweilig daran glauben, dass sie daran glauben. Selbst wer Dinge des täglichen Gebrauchs bewirbt, muss bis zu einem gewissen Punkt ein echter Gläubiger sein. »Um für ein Produkt Werbung zu machen, musst du an es glauben. Um überzeugend zu sein, musst du selbst überzeugt sein«, sagt Marcel Bleustein-Blanchet, langjähriger Chef von Publicis, einer der großen französischen Werbeagenturen. 1 2 »Ich fürchte, ich glaube den ganzen Kitsch, den ich in den Anzeigen sage. Es scheint nichts mit den
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