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Promenadendeck

Promenadendeck

Titel: Promenadendeck
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einer neunjährigen Tochter.
    »Wo fehlt's denn?« fragte Dr. Paterna, nachdem er den kranken Passagier in das Untersuchungszimmer geführt hatte. Das Hospital war mustergültig eingerichtet. Man konnte sogar operieren; das modernste Narkosegerät stand zur Verfügung. Die Station umfaßte zwanzig Betten. »Sie haben Herzbeschwerden?«
    »Mein Name ist Oliver Brandes. Optiker aus Gelsenkirchen.« Der Passagier setzte sich wie erschöpft auf einen Stuhl. »Ich habe Angst.«
    »Wie eine Klammer, die sich um das Herz legt?«
    »Ja.«
    »Und Luftnot?«
    »Noch nicht.« Oliver Brandes sah Dr. Paterna betroffen an. »Kommt das noch? Du lieber Gott … ich habe Angst, daß das Schiff untergeht.«
    »Was haben Sie?« fragte Paterna ungläubig zurück.
    »Angst, daß ich ertrinke. Irgendwo dort draußen auf dem Stillen Ozean. Oder daß Haie mich zerreißen. Wenn das Schiff untergeht …«
    »Es geht nicht unter. Es ist nach menschlichem Ermessen unsinkbar.«
    »Nach menschlichem Ermessen!« Brandes' Augen begannen zu zittern. »Das hat man bei der Titanic auch gesagt. Und was ist passiert, 1.517 Menschen sind mit ihr untergegangen!«
    »Soviel haben wir gar nicht an Bord«, sagte Dr. Paterna sarkastisch. »Das ist also schon nicht möglich.«
    »Ihr Hohn ist unangebracht, Doktor.« Jetzt zuckte Brandes' ganzes Gesicht. »Ich habe vor der Reise sechsmal geträumt, das Schiff geht unter!«
    »Und trotzdem sind Sie an Bord gekommen?«
    »Ich wollte mich im Gesangverein nicht lächerlich machen.«
    »Was hat denn der Gesangverein damit zu tun?«
    »Wir sind alle an Bord. Zweiundzwanzig Mann! Bis Valparaiso. Eine total verrückte Idee, und dazu stinkteuer. Aber unser Vorsitzender sagte: ›Was machen wir mit unserem Geld? Verfressen geht nicht, denn siebzig Prozent von uns haben Diabetes. Versaufen geht auch nicht, das macht die Leber nicht mehr mit. Verhuren‹ – Verzeihung, Herr Doktor, aber er sagte es – ›würde uns frustrieren, denn wer hält da noch durch? Aber die Welt ansehen, das können wir noch! Starten wir also einen Versuch.‹« Brandes' Stimme wurde weinerlich. »Was sollte ich da machen? Kneifen? Mich blamieren? Ich bin das erstemal auf einem Schiff, ich wollte nie auf eines drauf, ich habe immer Angst gehabt zu ertrinken. Bleib immer da, wo du zu Fuß nach Hause gehen kannst, hat mir mein Vater eingebleut. Und jetzt soll ich über den größten Ozean der Welt schwimmen. Sie müssen mir helfen, Doktor!«
    Paterna nickte. Man lernt nie aus, dachte er. Da ist nun ein erfolgreicher, wohlhabender Mann, Optiker aus Gelsenkirchen, und zittert bei seiner ersten Schiffsreise vor Angst. Aber er macht sie mit, um bei seinen Sangesbrüdern nicht als Feigling zu gelten. Über diese Klippe muß er weg. »Ich mache mit Ihnen allein eine Privatführung durchs Schiff«, sagte Dr. Paterna und suchte im Medikamentenschrank nach einem Beruhigungsmittel. »Ich zeige Ihnen, wieviel Schotten wir haben. So groß kann ein Leck gar nicht werden, daß wir voll Wasser laufen.«
    »Und wenn wir umkippen?«
    »Das ist noch weniger möglich.«
    »In der Mitte auseinanderbrechen?«
    »Völlig unwahrscheinlich.«
    »Explodieren?«
    »Man kann auch im Waschbecken ertrinken!« Dr. Paterna holte ein Glas Wasser und hielt Brandes zwei Tabletten hin. »Nehmen Sie sie, bitte.«
    »Wogegen?«
    »Die Tabletten machen wurschtig. Wenn das Schiff nachher untergeht, werden Sie Ihren Anzug ausziehen, damit er nicht naß wird.«
    Brandes schluckte die Tabletten, sah Dr. Paterna dann zweifelnd an und sagte: »Sie halten mich wohl für bekloppt, was?«
    »Durchaus nicht. Morgen gehen wir durchs Schiff.«
    »Morgen! Dazwischen wird eine fürchterliche Nacht liegen.«
    »Gehen Sie in unsere Nachtbar Fisherman's Club und saufen Sie sich randvoll. Das hilft.«
    Oliver Brandes nickte und verließ auf ziemlich unsicheren Beinen das Hospital. Schwester Erna nahm das Wasserglas und spülte es aus. »Den sehen wir bald wieder«, sagte sie dabei.
    »Das fürchte ich auch.« Dr. Paterna lachte leise. »Was glauben Sie, was passiert, wenn morgen früh um zehn Uhr die Alarmübung beginnt. Ich muß da in seiner Nähe sein.«
    Es gibt ein unumstößliches Gesetz auf jedem Schiff: Beim Anlegen oder Ablegen eines Schiffes muß der Kapitän selbst auf der Brücke stehen und die Manöver überwachen, wenn nicht sogar selbst ausführen.
    Horst Teyendorf war ein Kapitän, der das An- oder Abschwimmen höchstpersönlich in die Hand nahm und den riesigen Leib des Schiffes
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