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Promenadendeck

Promenadendeck

Titel: Promenadendeck
Autoren: Heinz G. Konsalik
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etwas wie eine kleine Sensation, wenn nach dem Wechsel auf der Toilette der zweite Zwilling an den Tisch kam, »Bitte noch einmal die Speisekarte!« sagte und dann eine ganze Speisefolge mühelos in sich hineinschaufelte. Auch der Getränkesteward bewunderte den Durst und das Durchstehvermögen dieses Gastes, der – als einzelner Mensch, so schien es – beim Dinner locker acht Biere schaffte und dann frohgemut und vor allem aufrecht den Speisesaal verließ.
    Die einzige Gefahr bestand darin, daß man die Zwillinge vielleicht einmal durch Zufall zusammen sah, aber das war auf allen bisherigen Reisen nie geschehen. Nach einem sekundengenauen Plan lief alles ab, vom Frühstück bis zum Flirt in der Nachtbar. Natürlich teilte man sich auch die Landausflüge: einmal Herbert, einmal Hans, je nach Interesse an dem Gebotenen. Nur bei Bora-Bora, das wußten sie, mußten sie unbedingt knobeln; die schönste Insel der Welt wollte jeder von ihnen sehen.
    Die 2. Tischzeit ist eigentlich immer die exklusivere. Erstens braucht man sich nicht zu beeilen, weil der Tisch anschließend nicht mehr gebraucht wird und also nicht mehr neu eingedeckt werden muß. Zum zweiten ißt in der 2. Tischzeit auch der Kapitän. Drittens trifft man viele Bekannte, die ja alle diese Vorteile von früheren Reisen her kennen. Man ist als Repeater gewissermaßen unter sich. Und überhaupt: Um 18 Uhr schon zu essen, wenn in der Bierbar hinten auf dem Oberdeck noch das Pils aus der Leitung schäumt, kostet eine Überwindung.
    Aber auch Nachteile gibt es, etwa, wenn auf der Karte Kochfisch steht. Dann bekommt die 1. Tischzeit den auf den Punkt gekochten, knackigen Fisch serviert. Bei der 2. Tischzeit ist er, nach anderthalbstündigem Dahingrummeln, eine pappige, matschige Angelegenheit. Der beste Küchenmeister kann nicht sechshundert Portionen Kochfisch über knapp zwei Stunden knackig halten. Mit den Nudeln ist es ähnlich und auch mit dem Spargel. Man könnte natürlich, wie es einem Luxushotel zusteht, alles frisch nach Bestellung kochen – doch keiner der dreihundert Gäste pro Tischzeit will warten. Jetzt bestellt, in spätestens zehn Minuten serviert. Es sind sowieso Zauberer, diese Köche auf einem Kreuzfahrtschiff. Allein die täglich wechselnde Speisekarte zu lesen, ist ein kulinarischer Genuß; auch wenn es Passagiere gibt, die ungeniert verkünden: Für über fünfhundert Mark am Tag kann ich das verlangen.
    Die MS Atlantis rollte sanft durch die Dünung, die Küste Kaliforniens hinunter, Richtung Mexiko. Das erste Abendessen war vorbei. Im Festsaal, der hier Sieben-Meere-Saal hieß, spielte die Bordband zum Verdauungstanz. Die drei Bars des Schiffes waren bereits belagert. Ein paar Luftfanatiker standen an Deck und starrten in die sternenklare Nacht und in die Gischt, die der Kiel des Schiffes beim Eintauchen in die Wellen aufschäumte. Das gleichmäßige Rauschen war ungemein beruhigend.
    In Kabine 213 legte sich Hans Fehringer in sein Pullmanbett und sah seinem Bruder zu, wie er sich eine dunkelblaue Jacke mit goldenen Knöpfen anzog. Das Abendessen war reibungslos abgelaufen. Noch wunderte sich der Tischsteward nicht über seinen Berge vertilgenden Gast. Nur die Tischnachbarn hatten sich ein wenig betroffen gezeigt und herübergestarrt.
    »Ich gehe noch in den Fisherman's Club«, sagte Herbert Fehringer. »Schlaf gut, Hans.«
    Er schloß die Kabinentür ab. Der Dienst der Kabinenstewards war vorbei, niemand störte sie mehr. Es war ein guter Tag gewesen, so, wie die vielen Tage, die vor ihnen lagen, hoffentlich auch geraten würden.
    Nach dem Dinner gab Ewald Dabrowski seiner Pflegerin für den weiteren Abend frei. Der neugierigen Umgebung hatte er gezeigt, wie man als Blinder ißt: Schwester Beate schnitt auf seinem Teller alles in kleine Happen vor, und dann aß er mit Messer und Gabel wie jeder andere auch. Der einzige Unterschied war vielleicht, daß er ab und zu mit der Gabel auf dem Teller herumtastete, so wie er es beim Gehen mit dem weißlackierten Stock tat. Gefüttert zu werden brauchte er also nicht, man atmete in seiner Umgebung an den anderen Tischen auf: Bei aller Nächstenliebe, aller Toleranz und aller christlichen Humanität – jeder wollte sein Essen mit Appetit und Ästhetik genießen, schließlich hatte man teuer dafür bezahlt. Ein hilfloser Mann aber, der gefüttert werden mußte, wäre kein Anblick gewesen, der appetitanregend gewirkt hätte.
    »Sie können gehen«, sagte Dabrowski, nachdem Beate ihn bis zum Foyer
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