Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Promenadendeck

Promenadendeck

Titel: Promenadendeck
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Spitzenhut vom Kopf, schüttelte ihre Lockenperücke, warf sich in einen der tiefen Sessel und streckte die Beine weit von sich. Suite 004 – eines ihrer vielen ›Zuhause‹. – »Mach die Flasche auf, Josef, ich vertrockne ja.«
    Die letzten Passagiere kamen an Bord: die fehlenden Amerikaner, ein italienischer Weingutbesitzer mit Namen Arturo Tatarani, der Immobilienhändler François de Angeli und – als letzter – Kammersänger Franco Rieti, trotz des warmen Tages vermummt, als gehe es auf eine Grönlandreise.
    Hoteldirektor Riemke seufzte zufrieden und meldete zur Brücke: »Alles an Bord. Keiner zuwenig und keiner zuviel. Wir können!«
    Das genau aber war ein großer Irrtum. In der Innenkabine 213 befanden sich, obwohl es eine Einzelkabine war, zwei Passagiere: die eineiigen Zwillinge Herbert und Hans Fehringer. Sie waren eines jener seltenen Zwillingspaare, die man überhaupt nicht auseinanderhalten kann. Auch bei verblüffend sich ähnelnden Zwillingen gibt es sonst winzige Unterschiede, aufgrund derer man sie sortieren kann – ein Pickel an der Schulter, eine Verschiebung am Haaransatz, irgendwo eine Narbe, ein unterschiedliches Lächeln, eine Ungleichheit im Gang; ganz zu schweigen von männlichen Unterschieden, sofern man den Vorzug hat, sie nackt nebeneinander zu sehen … Bei Herbert und Hans Fehringer war dergleichen nicht festzustellen. Selbst die Ärzte verzweifelten, man hatte das einmal mit größter Schadenfreude durchprobiert; die Brüder hatten sogar den gleichen Blutdruck und den gleichen Puls. Man mußte es ihnen einfach glauben, wenn sie – ob falsch oder richtig – behaupteten: »Ich bin Herbert!« – »Ich bin Hans!« Selbst ihr Vater war später durcheinandergekommen … die Mutter jedoch nie.
    Mit Reichtum waren die Fehringer-Zwillinge nicht gesegnet, im Gegenteil. Sie handelten in Ulm mit Gebrauchtwagen, kauften Unfallwagen auf, bogen sie wieder zurecht und boten sie dann mit Garantie an. Es reichte zum Leben, aber es reichte nicht, um ihr unbändiges Fernweh zu finanzieren. Einmal im Jahr mußten sie auf große Fahrt gehen; nicht in den Schwarzwald oder nach Juist, sondern dorthin, wohin sonst nur die dicken Brieftaschen fahren: Hawaii, Karibik, Singapur, Hongkong, Rio und Miami.
    Der Trick bei diesen Ausflügen in die weite Welt war immer der gleiche: Einer bezahlte voll, der andere fuhr umsonst mit. Sie hatten da eine verblüffend einfache Methode entwickelt, die auch bei der MS Atlantis bestens funktionierte: Per ABC-Flug waren sie bis San Francisco geflogen, warteten dort, bis die Passagiere des Schiffes von Frankfurt kommend landeten, und fuhren mit einem Taxi dem zweiten Bus hinterher. Dann mischte sich Herbert Fehringer unter den Schwall der Reisenden, zeigte in der Halle des Pazifikdecks sein ordnungsgemäßes Ticket für die Teilstrecke San Francisco-Sydney und wurde von einem Steward zu seiner Kabine 213 geleitet. Dort füllte er den auf dem Tisch liegenden gelben Bordausweis aus, verließ mit ihm wieder das Schiff und gab das Ticket dem an einem Kiosk in der Pierhalle wartenden Bruder Hans weiter, der daraufhin, das Ticket schwenkend, die MS Atlantis betrat. Bei der hin und her wogenden Menschenmenge fiel das gar nicht auf, zumal Hans sagte: »Bin schon eingecheckt, war nur noch mal an Land.« Und als später Herbert mit seinem Bordausweis das Schiff wieder betrat, genügte ein Blick auf die gelbe Karte.
    Die Schwierigkeiten begannen erst nach dem Ablegen, während der Reise, wenn es darum ging, ein Doppelleben als Einzelleben zu führen. Aber auch darin hatten die Fehringer-Zwillinge eine geradezu artistische Fertigkeit entwickelt.
    Kabine 213, meistens als Einzelkabine verkauft, hatte den Vorteil, notfalls auch zwei Personen aufnehmen zu können. Ein sogenanntes Pullmanbett, ein aus der Wand klappbares Zusatzbett, das dann oberhalb des normalen Bettes schwebte, erlaubte die Mitnahme eines zweiten Passagiers. Es war jetzt natürlich nicht bezogen, aber dem zweiten Fehringer-Zwilling kam es ja nur darauf an, nachts bequem zu liegen. Die Matratze war auf das Bett geschnallt, ein Ersatzkopfkissen hatte das normale Bett, eine Zusatzdecke gehörte zur Standardausrüstung, und außerdem fuhr man ja in so heiße Gegenden, wo sich sowieso niemand nachts zudeckte.
    Kaum waren die beiden Fehringers in ihrer Kabine, schlossen sie die Tür ab und probierten das Pullmanbett aus. Es ließ sich mit ein paar Griffen ohne Schwierigkeiten aus der Wand klappen. Wer oben und wer unten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher