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Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)

Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)

Titel: Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)
Autoren: Christian Ortner
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aufzuarbeiten, bedeutet publizistischen Selbstmord mit Anlauf zu begehen. Dergleichen liegt üblicherweise wie Blei am Kiosk.
    Dass Politik, und ganz besonders Sachpolitik, jenseits persönlicher Auseinandersetzungen, von Medienkonsumenten in der Regel als außerordentlich langweilig und uninteressant empfunden werden, ist nicht nur für politische Medien ein Problem. Es wirkt sich auch auf den demokratischen Prozess aus, wie ein vom Mechaniker vergessener Schraubenschlüssel auf das Innere eines Formel-1-Motors. Wenn sich der Wähler nicht mehr über politische Zusammenhänge und Sachverhalte in ausreichendem Maße schlau machen kann und/oder will, vermag er auch keine informierte politische Entscheidung zu treffen. Dann droht der demokratische Prozess zu entgleisen.
    Wer wählen will, muss lesen. Das kann als einer der obersten Grundsätze der Demokratie gelten. Wer keine oder die falschen Printmedien liest, kann in der Wahlkabine genauso gut würfeln. Das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft ist daher eng an das Funktionieren der Medien gebunden.
    Wenn das stimmt, befindet sich die Demokratie derzeit in einer nicht erfreulichen Lage. Mehr denn je gilt im Mediengeschäft, was Karl Kraus vor fast einem Jahrhundert beobachtet hat: »Je größer der Stiefel, umso höher der Absatz« . Ein Blick auf den Zeitungskiosk einer beliebigen Stadt belegt diesen Befund ebenso eindrucksvoll, wie eine Stunde Fernsehkonsum. So viel Blödheit war noch nie da.
    Jeder Blattmacher, gleich ob in einer Tageszeitung oder einem Magazin, kennt den umgekehrt proportionalen Zusammenhang zwischen der Relevanz eines Themas und den damit gemeinhin zu erreichenden Verkaufszahlen. Der drohende Zusammenbruch der Europäischen Union, die Revolutionen im Nahen Osten oder der Aufstieg Chinas mögen den Verlauf der Weltgeschichte ändern, dem Leser geht das in den meisten Fällen am Arsch vorbei.
    Wer als Medienmensch relevante Themen für relevant hält, der riskiert, sein Medium in die Irrelevanz zu führen. Das Ergebnis ist meist eine Verflachung der Berichterstattung in einem Maß, das Holland gebirgig erscheinen lässt.
    Deshalb gibt es ja auch wesentlich mehr Magazinaufmacher über Rückenschmerzen als über die Finalität der Europäischen Union.
    »Innenpolitische Leitartikel, sorgfältige Analysen oder gar fundierte Kritik sind äußerst selten geworden. Landesweit bekannte, geschätzte und viel zitierte Journalisten sind mir keine mehr bekannt. Im Schweizer Fernsehen ist das Kurzfutter ein üblicher Stoff im Bereich ›Information‹ geworden. Im Programm maßgebend in den Vordergrund getreten sind ›Glanz und Gloria‹, seichte Publikumsspiele, Castingshows sowie ausgiebige Berichterstattung über Cervelat-Prominenz. International haben Sterneköche und Fußballresultate vorhersagende Kraken das Zepter übernommen.
    Zu Themen von öffentlichem Interesse gibt es kaum sorgfältige, in die Tiefe gehende Darstellungen. Talkshows und Arena nehmen als schmalbrüstiger Ersatz Alibifunktionen wahr. Es wird über etwas diskutiert, für das dem Publikum die grundlegende Information fehlt. Verlautbarungen von Amtsstellen werden vollständig unkritisch weiterverbreitet. Kritische Untersuchungen und Bewertungen finden nicht statt. Beides wäre aber notwendig, sagte doch der amerikanische Gründervater Thomas Jefferson: ›Argwohn, nicht Vertrauen, ist die Grundlage der Demokratie.‹
    Wenn schließlich das Kurzfutter in Pendlerzeitungen von Tamedia-Verleger Pietro Supino als ›Information‹ bezeichnet wird, sträubt sich in einem alten Journalisten wie mir alles. In diesen Medien variieren allenfalls noch die Auswahl, die Zusammenstellung sowie die Illustration der Meldungen. Ihr Inhalt dagegen ist zumeist bloße Industrieware mit Verfallsdatum von gestern, über einen einzigen Leisten geschlagen, die allenfalls gerade noch knapp der Ablenkung des Bourgeois während weit weniger als 20 Minuten zu dienen vermag«, diagnostizierte der schweizerische Journalist Ludwig A. Minelli in der »Zeit«, was nicht nur in der Schweiz die Demokratie unterminiert . »Als am Wohlergehen unseres Gemeinwesens interessierte Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, als Citoyens, stehen wir vor einem durchaus unerfreulichen Phänomen: Aus den Medien, egal ob gedruckt, gesprochen oder als Fernsehbeiträge verbreitet, quillt vorwiegend nur noch Geschwätzigkeit. Basisinformation, Wissen oder fundierte Kritik jedoch fehlen weitgehend. Damit fehlt der Öffentlichkeit
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