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Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)

Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)

Titel: Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)
Autoren: Christian Ortner
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religiösen Absichten von der regierenden, terroristischen Hamas gefoltert wird, ob er die demokratisch gewählte Hamas-Regierung wirklich als Garanten seiner persönlichen Freiheit versteht.
    Die Antwort wird wohl immer die gleiche sein. Was demokratisch beschlossen wurde, muss nicht immer der Freiheit dienen. Demokratie kann für den Einzelnen durchaus zu Unfreiheit führen.
    » Demokratie heißt Herrschaft des Demos, also Volksherrschaft, und die ist, nimmt man den Begriff in seiner prägnanten Bedeutung, nicht unbedingt erfreulich ,« meint der Wiener Philosoph Rudolf Burger, … denn reine Demokratie hat ihren Fluchtpunkt nicht in der Freiheit, in deren Namen sie propagiert wird, sondern in Diktatur und Terror. Die gesamte klassische Staatstheorie hat das gewusst, von Platon über Kant bis Hegel, nur die heutige Politik-Rhetorik hat es vergessen gemacht. Deshalb redet man von Populismus, will man die negativen Züge der Demokratie hervorheben. Doch der Begriff Populismus ist bloß die latinisierte Form von Demokratismus. Und der Populist ist die moderne Gestalt des Demagogen, der sein Vorbild hat an Perikles, dem größten aller Demagogen. Wenn legitime Herrschaft tatsächlich ›vom Volk‹ ausgeht, und nur von ihm ohne nähere Qualifikationen, dann gibt es kein wie immer geartetes Kriterium, diese Herrschaft zu begrenzen – jedes Gesetz, jede Verfassung, jeder ›Gesellschaftsvertrag‹, das heißt, jede Selbstbindung des Volkes, steht grundsätzlich immer zu seiner Disposition. Die Souveränität des Volkes kennt kein Jenseits, dessen normativer Kraft es unterworfen wäre, und jede eigene Entscheidung kann es revidieren; deshalb auch die Fragwürdigkeit von ›Grundwertekatalogen‹, die immer so tun müssen, als seien sie der Geschichte entzogen, was der Idee der Demokratie frontal widerspricht. Eine Grenze findet die Souveränität nur in der von anderen Völkern, aber das sind Machtfragen immanenter Natur, keine einer transzendent begründeten Moral, auch keine demokratischen Ursprungs .« (R. Burger, »Das Risiko der modernen Demokratie«, 2006)
    Dass Freiheit und Demokratie gleichsam siamesische Zwillinge sind, ist also ganz offensichtlich ein herziger Irrglaube. Garantiert wird Freiheit häufig eben gerade nicht vom Prinzip der Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, sondern ganz im Gegenteil von der Einhegung des demokratischen Prinzips durch Normen, über die nicht abgestimmt werden kann. Das sind Menschenrechte, Minderheitenrechte und die Herrschaft des Rechtes im Allgemeinen.
    Dass Demokratie und Freiheit gelegentlich sogar Antagonisten werden können, demonstrieren die Ereignisse des sogenannten »arabischen Frühlings« vortrefflich. Denn ob der demokratische Prozess im Bogen zwischen Marokko und Syrien nicht nur die demokratische »Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit«, sondern auch einen Zugewinn an Freiheit bringen wird, muss sich erst weisen. Grund für Optimismus gibt es bislang eher nicht.
    Das hängt in hohem Maße mit den Werten zusammen, die von der demokratischen Mehrheit in dieser Gegend vertreten werden. So waren etwa 80 Prozent der Ägypter in einer repräsentativen Umfrage im Jahr 2010 der Meinung, dass Dieben die Hand abgeschlagen werden muss, Ehebruch mit Steinigung gesühnt und Konvertiten, die vom Islam abfallen, hingerichtet werden sollen. 95 Prozent der Befragten hielten gar »einen starken Einfluss des Islam auf die Politik« für wünschenswert.
    Man braucht keine allzu blühende Fantasie zu haben, um sich vorzustellen, dass die streng demokratische Umsetzung dieser Wünsche einer offenkundig übergroßen Mehrheit der ägyptischen Bevölkerung nicht wirklich zu einem Mehr an Freiheit führen würde. Freiheit wird Ägypten hingegen haben, wenn eben nicht demokratisch über Steinigung von Ehebrechern und Hängen von Konvertiten abgestimmt werden kann.
    Dass die Herrschaft der Mehrheit der Kevins und Jessicas über die Minderheit außerordentlich schief gehen kann, war übrigens für die meisten Philosophen, Staatsmänner und Intellektuellen vom antiken Griechenland bis tief in die Moderne hinein völlig unumstritten. Schon Aristoteles rechnete sie den »entarteten« Herrschaftsformen zu, und der Römer Cicero urteilte: » Es gibt keine andere Regierungsform, der ich eher den Titel Gemeinwesen vorenthalten würde, als einer, in der alles der Macht von Mehrheiten unterworfen ist. … Bei einer solchen Versammlung … handelt es sich ebenso gewiss um einen
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