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Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)

Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)

Titel: Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)
Autoren: Christian Ortner
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solange die Wähler imstande waren, rationale Entscheidungen zu treffen, indem sie verstanden, was jeweils auf dem Spiel stand und bereit waren, die Konsequenzen ihrer Entscheidung zu tragen. Nun jedoch kann man den Eindruck nicht loszuwerden, dass demokratische Gesellschaften sich schnell in Ochlokratien (Pöbelherrschaft, Anm.) verwandeln, wo die große Mehrheit der Bürger, die ihre Rechte als gegeben und ihre Pflichten als nicht vorhanden empfinden, von Propaganda verführt und von Spektakeln abgelenkt, entweder unfähig oder unwillig sind, die Zeit und Energie aufzubringen, die notwendig sind, um ein verantwortlicher, demokratischer Akteur zu sein,« diagnostizierte in diesem Kontext jüngst der renommierte russische Ökonom Vladislav Inozemtsev in der Zeitschrift »The American Interest« (Ausgabe 04/2012, S. 39).
    Dass die Demokratie notorisch gefährdet ist, in die Ochlokratie, also die Herrschaft des Pöbels, abzugleiten, ist der Philosophie seit den Tagen der Athener Demokratie geläufig. Man kann das durchaus auch als eine, möglicherweise nur sehr schwer zu vermeidende, Form der Degeneration beschreiben, ausgelöst unter anderem durch eine Bildungs- und Erkenntnisverweigerung breiterer Bevölkerungsschichten. Aus Arbeitern, die sich emanzipieren und weiterbilden wollen, werden Proleten, die an ein Menschenrecht auf den Mallorca-Urlaub glauben. Willkommen in der Welt der Prolokratie!
    Eine zentrale Rolle spielt dabei natürlich das Bildungssystem. » Viele Lehrer vermitteln keinen Stoff mehr, sondern sie stimulieren die Interaktion der Schüler. Das widerspricht nicht nur dem gesunden Menschenverstand, sondern auch der Erfahrung jedes produktiven Menschen, dass Kreativität die Freiheit voraussetzt, sich von seinem Gegenstand beherrschen zu lassen «, notiert der Medientheoretiker Norbert Bolz in seinem klugen Essay »Die ungeliebte Freiheit«.
    Wenn Lehrer aber keinen Stoff mehr vermitteln, oder jedenfalls nicht ausreichend schwierigen und anspruchsvollen, sondern vor allem die sozialen Talente ihrer Schüler befördern, entsteht eine negative Spirale. Ein nicht hinreichend gebildeter Souverän, der die Schule selbst als leistungsfernen Ponyhof erlebt hat, wird im Zweifel stets für ein noch kuscheligeres Schulsystem votieren, in dem Leistung als Zumutung und Wissen als entbehrlicher Zierrat verstanden werden.
    Ein besserer Dünger für das Entstehen einer Prolokratie ist kaum vorstellbar. Ein zur Selbstinfantilisierung neigender Souverän wird keinerlei Schwierigkeiten damit haben, ein Gemeinwesen demokratisch in die Pleite zu wählen.
     

V. Die Prolokratie und ihre Medien – oder: Der Souverän amüsiert sich zu Tode.
     
     
    G iovanni di Lorenzo ist einer der erfolgreichsten Journalisten Deutschlands. Unter seiner Führung entwickelte sich die Auflage des Hamburger Intelligenzblattes »Die Zeit« recht gedeihlich, was angesichts der dort publizierten, oft eher anspruchsvollen Texte ja nicht eben selbstverständlich ist.
    Trotzdem ist es auch für Blattmacher di Lorenzo ein gewisses Risiko, seiner gebildeten Leserschaft allzu viel von dem vorzusetzen, was man eigentlich für das geistige Grundnahrungsmittel intelligenter Zeitungsleser halten würde: das analytische Aufbereiten aktueller politischer Themen. » Weder mit dem arabischen Frühling noch mit der Eurokrise oder dem Libyen-Einsatz konnte Print am Kiosk einen Blumentopf gewinnen «, bekannte der Chefredakteur in einem Interview mit der »Berliner Zeitung«. » Auf die Frage, warum das so ist, haben wir noch keine überzeugende Antwort gefunden. Für politische Blätter ist das eine unglaubliche Herausforderung «, erklärt der Blattmacher.
    Di Lorenzo begegnet dieser Herausforderung gelegentlich, indem er die Titelseite der »Zeit« mit zeitgeistigen Lifestyle-Themen attraktiv macht, etwa mit Aufmachern wie »Yoga mit Jesus« oder »Die Wahrheit über unsere Träume«. In der nicht eben von mangelndem Selbstbewusstsein geplagten Redaktion sorgt das gelegentlich für Diskussionen, aber es hilft, eine politische Wochenzeitung und damit die politischen Texte am Kiosk auch weiterhin zu verkaufen.
    Wesentlich härter zu kämpfen haben mit diesem Phänomen Medien, deren Leserschaft nicht so bildungsnah ist wie jene von Di Lorenzos »Zeit«, also die meisten außer dem Fernsehsender »arte«. Politik kann da bestenfalls noch als Konflikt von Personen verkauft werden. Sachpolitik zu analysieren und so für den Wähler entscheidungsreif
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