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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und auf ein Bett gehoben. Vier Männer, die beiden Sanitäter und zwei Krankenpfleger, hatten ächzend zu tun, den massigen Körper hochzuheben. Nun lag Merckel auf dem Bett und hob den Kopf etwas an. »Sie werden mich aufschneiden, Doktor Linden. Ich werde für Sie ein Demonstrationsobjekt sein. Natürlich kennen Sie einen menschlichen Leib von innen so gut wie von außen, aber es wird auch für Sie etwas Ergreifendes sein, an meinem Körper zu sehen, was das Saufen alles zerstören kann. Darum habe ich mich zu Ihnen bringen lassen, Doktor Linden … so wie es in mir aussieht, wird es auch in anderen Körpern aussehen.«
    Dr. Linden nickte. Sie verstanden sich. Auch Prof. Brosius begriff die Tragik, die sich hier vor seinen Augen vollendete. Er wischte sich über die Augen und schätzte sich innerlich glücklich. Pfarrer Merckel nicht als Privatpatient bei sich zu haben. Es gibt ruhige, ergebene Sterbende, und es gibt Sterbende, die vor dem letzten Seufzer noch auf den Tisch schlagen. Merckel gehörte dazu. Er war ein unbequemer Sterbender. Während man Merckel mit dem Bett in den Waschraum rollte und dort auszog, trat Brosius an Dr. Linden heran. »Wollen Sie wirklich operieren?« fragte er. »Das ist doch eine ganz gesalzene Ösophagusvarizenblutung.«
    »Ihre Diagnose stimmt. Gratuliere, Herr Professor.«
    Brosius schluckte verbittert. »Linden, lassen wir jetzt alle internen Spannungen beiseite. Über diesen Fall Mayhaller müssen wir noch reden. Jetzt geht es um Pfarrer Merckel. Sie wollen doch keine Ösophatogotomie machen?«
    »Das hatte ich vor.«
    »Aber das ist doch sinnlos! Merckel ist durch und durch kaputt! Er muß eine Leber haben, höckrig wie ein Dromedar.«
    »Hat er.«
    »Und trotzdem?«
    »Trotzdem!«
    »Ich verstehe Sie nicht, Linden. Es ist doch nichts mehr zu retten! Er bleibt Ihnen auf dem Tisch liegen!«
    »Das will er ja, Herr Professor.«
    »Das … das will er?« Brosius stotterte hilflos. »Und Sie … Sie machen das mit?«
    »Es ist mein letzter Liebesdienst für ihn. Sie wissen nicht, was Merckel und mich innerlich miteinander verbindet. Wäre ich – heute oder morgen oder in einem Jahr – in einem der Bunker oder Trümmerkeller Kölns verkommen und doch noch bei Verstand geblieben, ich hätte Merckel zu mir bringen lassen, damit er mir aus der Bibel vorliest. Nicht, weil es gottgefällig ist, sondern weil ich leichter gestorben wäre in dem Bewußtsein, nicht viel aufzugeben mit dem irdischen Leben. Nun ist es umgekehrt. Merckel kommt zu mir, damit ich ihm zu dem Paukenschlag verhelfe, mit dem er von dieser Welt gehen will. Sie wissen, wie elend ein Mensch mit Leberzirrhose stirbt. Seine Varizenblutung macht es ihm leichter – er stirbt anständig in der Narkose.«
    Brosius hob hilflos die Arme und ließ sie an den Körper zurückfallen. »Ich komme da nicht mehr mit«, sagte er bedrückt. »Es muß die Philosophie der Trinker sein.«
    Oberarzt Dr. Krüger kam aus dem Waschraum. Er nickte Dr. Linden zu. »Alles bereit, Chef. Aber eine Intubationsnarkose ist nicht möglich.«
    »Linden, was Sie machen, ist Wahnsinn«, sagte Brosius leise. »Ich sollte mich an Sie klammern und Sie festhalten.«
    »Dann operiert Dr. Krüger.«
    »Sie bringen sich um die Approbation!«
    »Wenn ich nichts tue, ist Pfarrer Merckel in zwei Stunden im Koma, in drei Stunden tot. Er hat für mich gebetet mit dem Rosenkranz … ich werde jetzt für ihn beten mit dem Messer.«
    »Sie sind irr!« schrie Brosius.
    Dr. Linden verbeugte sich leicht. »Sie entschuldigen mich, Herr Professor. Ich lasse Sie jetzt leider mit der normalen Welt allein.«
    Mit schnellen Schritten ging er Dr. Krüger nach. Lautlos rollten hinter ihm die Türen zu.
    Jetzt einen Cognac, dachte Brosius und spürte, wie seine Nerven flimmerten. Jetzt einen doppelten Cognac.
    Aber er blieb im OP-Vorraum, setzte sich auf einen Drehstuhl und wartete geduldig, was hinter den schalldichten Türen geschah.
    »Sie sind ein wahrer Freund, Doktor! Kommen Sie, rennen Sie nicht so geschäftig herum … bleiben Sie bei mir.« Pfarrer Merckel lag entkleidet auf dem OP-Tisch, abgedeckt mit warmen grünen Tüchern, noch nicht festgeschnallt, bei klarem Bewußtsein. Die Schwestern und Ärzte standen an den Wänden herum. Ebensowenig wie Oberarzt Dr. Krüger wußten sie, was nun geschehen sollte. So etwas hatte es in der Linden-Klinik noch nicht gegeben.
    Dr. Linden beugte sich über Merckel und lächelte ihm in das faltige gelbliche Gesicht. »Sie sollten
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