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Privatklinik

Privatklinik

Titel: Privatklinik
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der einen spitzen, verrosteten Nagel verschluckt hatte, den Magen aufschnitt und den Nagel herausholte. Vom ersten Schnitt bis zur letzten Hautnaht operierte Dr. Linden allein. Seine Finger bewiesen eine Sicherheit, die nicht einen Augenblick lang den Gedanken aufkommen ließ, irgend etwas könne fehlerhaft sein. Es waren Hände, die Vertrauen ausstrahlten. Hände, die geniales Wissen in sichtbare Taten umsetzten.
    Als der von einem qualvollen Tod der inneren Verblutung gerettete Hund vom Marmortisch gehoben und weggebracht wurde, zog Dr. Linden seine Gummihandschuhe aus, steckte die Hände in die Sterillösung aus Zephirol und trocknete sich ab. Er war müde, man sah es an seinen umränderten Augen, aber er war ebenso glücklich und atmete tief auf, als Brigitte ihn wortlos küßte.
    »Eine Zigarette, Gitte …«, sagte er. Seine Stimme war rauh und erschöpft zugleich.
    Diakon Weigel kam zurück in das Kreuzgewölbe des Kellers. Er hielt in der Hand eine Flasche und ein Glas. Ein höllischer Versuch kam auf Dr. Linden zu. Noch ahnte er es nicht. Er rauchte die Zigarette in tiefen, langen Zügen und lehnte sich gegen die Marmorplatte. Um ihn roch es nach Blut, warmem Hundefleisch und gegorenem Mageninhalt.
    »Und morgen reite ich wieder ›Oberon‹!« rief er Diakon Weigel entgegen. »Sie glauben nicht, wie stark ich mich fühle! Ich habe noch nie einen solchen Lebenswillen gehabt wie jetzt!«
    »Das ist schön.« Weigel stellte Flasche und Glas auf den Tisch. Dr. Linden starrte entgeistert auf das Etikett, die Zigarette entglitt seinen Fingern.
    »Sind sie verrückt, Diakon?« fragte er leise.
    »Schnaps. Sie sehen recht, Doktor.« Diakon Weigel goß ein und schraubte den Korken wieder auf die Flasche. »Wohl bekomm's, Doktor.«
    Dr. Linden rührte sich nicht. Bleich lehnte Brigitte an der dicken Kellerwand. Sie begriff nichts mehr. Sie wußte nur, daß sie Angst hatte. Unerträgliche Angst. Sie wollte schreien, aber das sie anschleichende Grauen war zu groß. Es lähmte sie.
    »Was soll das?« fragte Dr. Linden.
    »Ein Schluck auf den Erfolg, Doktor.«
    »Damit?«
    »Sie haben heute Ihren größten Triumph errungen! Sie sind wieder Doktor Linden geworden! Das ist eine Wiedergeburt. Ist sie nicht wert, begossen zu werden?«
    »Gestehen Sie, Diakon: Sie sind beim Satan in die Lehre gegangen!«
    »Der Satan ist überall, Doktor. Doch was kümmert uns das? Sie sind zurückgekehrt zu Ihrem Ich … kehren wir also auch zurück zu dem Leben, das Sie verlassen haben. Ein Hoch auf den Erfolg! Darauf trinkt man ex, nicht wahr?«
    Diakon Weigel legte die Hand auf die Flasche. Das Glas stand in Griffnähe Dr. Lindens. Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Arzt, während er so tat, als sähe er aus dem Kellerfenster.
    Dr. Linden griff zu. Er nahm das Glas, trug es zu einem Eimer und schüttete den Alkohol hinein. Dann ließ er das Glas fallen und klappte den Deckel wieder über den Eimer. Diakon Weigel wandte sich zu ihm um.
    »Sie können in zwei Tagen nach Hause fahren, Doktor.«
    Linden schüttelte den Kopf. »Das will ich gar nicht.«
    »Sie sind gesund, Doktor.«
    »Glauben Sie?« Linden lächelte mokant. »Geste gegen Geste, mein Lieber. Sie stellen mir das Glas mit Schnaps hin, um zu sehen, wie ich reagiere. Ich tue Ihnen den Gefallen und reagiere so, wie Sie wünschen. Weiter nichts. Ist das Heilung?«
    »Vor einigen Wochen hätten Sie ohne Zögern das Glas leergetrunken.«
    »Allein, ja. Aber nicht in Gegenwart meiner Frau.« Dr. Linden setzte sich auf einen Schemel. Warum sage ich das alles, dachte er. Ich habe aus Angst nicht getrunken. Ist Angst ein Beweis der Heilung? Soll die Heimlichkeit des Trinkers jetzt abgelöst werden von der offenen Angst des Süchtigen?
    Er hob seine Hände und sah seine Fingerkuppen an. Sie haben wieder Gefühl, dachte er. Eigentlich wäre damit der Grund des Saufens erledigt. Aber wieso habe ich wieder Gefühl in den Fingern ohne Alkohol? Das ist anatomisch unmöglich! In meinem Hirn hat seit dem Autounfall eine Fehlschaltung stattgefunden. Sie kann nicht behoben werden durch Training. Nur ein neuer Schock wäre vielleicht in der Lage, mich zurückzuverwandeln. Eine neue Gehirnerschütterung. Man sollte also mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Oder sich von ›Oberon‹ fallen lassen, im vollsten Galopp. Oder sich aus dem Fenster stürzen. Alles kann man machen – nur eines nicht: sich selbst betrügen! Und Angst haben! Ein ganzes weiteres Leben lang Angst vor sich selbst.
    »Komm,
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